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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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Minute lang, dann entschied sie sich.
    »Gut, wir nehmen es. Aber kann er uns nicht wenigstens die Batterien dazugeben und vielleicht eine Packung mit Kassetten?«
    Meine Mutter stand die ganze Zeit gelassen daneben. Sie mischte sich in das Gespräch nicht ein, sondern lächelte nur – als wollte sie sagen: Na sieh mal an, jetzt stoßen also westliche und östliche Welt in diesem kleinen Elektroladen aufeinander.
    Der Verkäufer hatte die Begriffe »Batterie« und »Kassette« verstanden und sagte, bevor ich ihm die Frage meiner Tante übersetzen konnte: »Ja, ja, Sie bekommen Batterien und Kassetten dazu.«
    Sich in eine neue Kultur einzufinden, ist mehr, als eine neue Sprache zu lernen, sich an anderes Essen zu gewöhnen, sich mit einer fremden Religion, ungewöhnlichen Bräuchen und Traditionen vertraut zu machen. Es gehören viel alltäglichere Dinge dazu wie: Heißt ja wirklich ja und nein nein? Wie verbindlich sind Einladungen? Wie pünktlich muss man zu Terminen erscheinen? Gibt man sich zur Begrüßung die Hand? Muss man die Schuhe ausziehen, wenn man ein Haus betritt? Darf man sich in der Öffentlichkeit die Nase putzen, soll man nach dem Essen rülpsen, kann man Hand in Hand mit dem Partner durch die Stadt bummeln, muss man auf bestimmte Kleidung achten? Und, in diesem Fall: Ist Feilschen in Geschäften erlaubt? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, Fehler zu machen.
    Das Aufnahmegerät benutze ich immer noch, und bei jedem Einsatz muss ich daran denken, wie meine Tante es mir gekauft hat: diese kleine Frau im Sari in dem Stader Elektronikladen. Heute freue ich mich über diese Szene. Es war eine Lehrstunde in marktwirtschaftlicher Preisbildung und in Kulturwissenschaften. Es war ein Stück Globalisierung.
    Damals habe ich mich für das Verhalten meiner Tante geschämt. Damals wollte ich nur Deutscher sein, am liebsten blond und blauäugig. Ich wollte nicht Hasnain heißen, keine braune Haut und keine asiatischen Wurzeln haben. Für mich war das Anderssein eine Belastung, keine Bereicherung.
    Der Wunsch meiner Eltern nach deutscher Normalität wurde auch zu meinem. Bis auf das südasiatische Essen, das es bei uns oft gab, die englischen oder Urdu-Wörter, die sich in ihr Deutsch verirrten, und die gelegentlichen Treffen mit den indischen Freunden lebten wir ein deutsches Leben in Hollern-Twielenfleth. Mit Wohnzimmerschrankwand und Sonntagnachmittagskaffee. Der Altländer Apfelkuchen meiner Mutter unterschied sich inzwischen nicht mehr von dem der Nachbarinnen.
    Aber immer noch waren da unsere grünen pakistanischen Pässe. Sie wurden meinen Eltern bewusst, wenn sie wieder einmal um eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bitten mussten. Mir machte meine pakistanische Staatsbürgerschaft nur einmal Ärger: als es darum ging, dass wir eine Klassenfahrt nach Dänemark organisieren wollten. Plötzlich fiel mir ein, dass ich ja ein Visum brauchte und es eine Ewigkeit dauern könnte, bis ich es bekäme. Ich meldete mich zu Wort und erklärte mein Problem. Meine Klasse entschied sich daraufhin ohne große Diskussion, ein Ziel in Deutschland zu suchen – eine Geste, deren Großartigkeit mir erst viele Jahre später bewusst wurde.
    Die Ausländerbehörde ließ meine Eltern fortan in Ruhe. Bis auf die Termine alle paar Monate dort hatten wir kaum noch mit ihr zu tun. Keine Aufforderungen mehr, ein Attest vorzulegen. Keine Streitereien mehr mit übel gelaunten Beamten.
    Im Frühjahr 1989 rief Pastor Lochte bei uns an.
    »Wir brauchen dringend eine Abstammungsurkunde von Ihnen beiden«, sagte er meinen Eltern. Abstammungsurkunde? In Pakistan wurde nicht einmal das Geburtsdatum amtlich festgehalten, wie sollte es so etwas wie eine Abstammungsurkunde geben?
    Meine Großmutter Afsar Begum und meine Großeltern Manzoor Ali Naqvi und Qamar Jehan suchten ein Gericht in Karatschi auf und gaben eidesstattliche Erklärungen über die Abstammung ihrer Kinder ab. Kaum waren diese per Luftpost in Hollern angekommen und übersetzt worden, bat Pastor Lochte meine Eltern zu sich.
    »Wir werden jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft für Sie beantragen«, erklärte er.
    Deutsche Staatsbürgerschaft? Davon war gelegentlich die Rede gewesen, aber sollte es jetzt so weit sein? Welche Erfolgsaussicht hatte ein Antrag zu diesem Zeitpunkt? Und wie lange würde es bis zu einer Entscheidung dauern?
    »Ich kann Ihnen keine weiteren Informationen geben, es wird einige Monate dauern. Aber Sie leben jetzt lange genug in Deutschland, dass
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