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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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    An der Sicherheitskontrolle am Eingang durchsucht ein Mann in Uniform meine Kameratasche und fischt meinen Reisepass heraus. »Sie sind kein Inder«, sagt er und zeigt auf meine Eintrittskarte. »Warum kaufen Sie dann ein Ticket für Inder? Gehen Sie bitte zurück und kaufen Sie eins für Ausländer.«
    In diesem Moment fällt mir der Taxifahrer aus Neu-Delhi ein. Ich gucke den Uniformierten an, als hätte er den dümmsten Satz seines Lebens gesagt. »Hören Sie, mein Pass mag deutsch sein, aber mein Blut ist indisch. Das ist, was zählt, oder?« Als ich das sage, halte ich mir die rechte Hand ans Herz.
    Der Uniformierte lächelt und wackelt zustimmend mit dem Kopf.
    »Wie wahr, wie wahr!«, sagt er. Er klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. »Na, gehen Sie schon rein.«

    Ich besuche Verwandte in Karatschi, Pakistan. Sie sagen zu mir: »Willkommen in deinem Zuhause!«
    Die beiden riesigen Häuser meiner Großeltern, in denen ich in meiner Kindheit viel Zeit verbracht habe, sind verkauft. Fremde Menschen wohnen jetzt darin. Ich spüre einen Stich, weil ich weiß, dass ich nicht einfach hineingehen und mich umschauen kann. Jene Tanten und Onkel, die in Karatschi geblieben und nicht nach England, in die USA oder nach Kanada ausgewandert sind, haben sich neue, schickere Häuser in angesagten Stadtteilen gekauft – und die wechseln auch in Karatschi alle paar Jahre. Eine Tante lebt direkt neben der Politikerfamilie Bhutto. An der Straßenecke vor ihrem Haus stehen immer Sicherheitsleute. Nach zwei, drei Tagen kennen mich die Polizisten. Wenn ich an ihnen vorbeispaziere, nicken sie mir freundlich zu.
    In den neuen Häusern meiner Verwandten fühle ich mich schnell wohl. Mein Zuhause.
    Der Muezzin ruft zum Gebet. Der Gesang des Vorbeters hat eine beruhigende Wirkung, wie das Läuten von Kirchenglocken. Meine drei ersten Begegnungen mit dem Islam waren blutig: Ich wurde beschnitten, sah, wie beim Fest Id ul-Adha Ziegen geschlachtet wurden, und wurde ein paar Jahre später, bei einem Familienbesuch in Karatschi, Zeuge einer Selbstgeißelungsprozession von Schiiten: Männer schlugen sich mit Ketten, zum Teil mit Messerklingen gespickt, auf den Rücken. Sie hinterließen auf ihrem Zug eine blutige Spur und betrauerten auf diese Weise den Tod des von ihnen verehrten Imam Husain, der im Jahr 680 in der Schlacht von Kerbela umkam.
    Trotzdem fühle ich mich dieser Religion verbunden. Ich kenne viele Muslime in Pakistan und Indien, deren Ansichten und Werte sich kaum von denen in westlichen Gesellschaften unterscheiden. Muslime, die ihre Söhne vor allem aus medizinischen Gründen beschneiden lassen. Die keine Tiere im Garten schlachten. Die Selbstgeißelung bis zur Ohnmacht für gefährlichen Unsinn halten.
    Meine Cousins und Cousinen sind solche Menschen. Sie sind moderne Muslime, beruflich erfolgreich, leben ein glückliches Leben in Pakistan.
    Islam ist eben nicht nur so, wie er häufig außerhalb der islamischen Welt dargestellt wird – als bringe er nur Intoleranz und Terrorismus hervor. Es ist die Religion meiner Verwandten, meiner Vorfahren. Dieses Erbe habe ich zu tragen.
    Ich habe mich taufen lassen, weil meine Eltern das so entschieden haben. Im Frühjahr 1988 ließ ich mich konfirmieren, weil alle meine Freunde es taten und weil Pastor Lochte anrief und meine Eltern fragte, wo denn meine Anmeldung zum Konfirmandenunterricht bliebe. Klar ging es um die Feier, um Geschenke, aber vor allem darum, dass ich so sein wollte wie alle anderen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich heute wieder so entscheiden würde. Wahrscheinlich nicht. Ich bin kein religiöser Mensch. Müsste ich meine Religion angeben, würde ich sagen: Schätzungsweise sechzig Prozent evangelischer Christ, vierzig Prozent schiitischer Muslim. Vielleicht sogar siebzig zu dreißig.
    Ich habe mich für konfessionslos entschieden. Das macht die Sache einfacher.
    Für westliche Verhältnisse sind meine pakistanischen und indischen Verwandten sehr religiös. Die meisten von ihnen lesen regelmäßig im Koran und sprechen das Glaubensbekenntnis, sie beten mehrmals täglich, spenden den Armen, halten den Fastenmonat ein und pilgern einmal im Leben nach Mekka. Für südasiatische Verhältnisse ist meine Familie dagegen nicht sonderlich religiös. Im Gegensatz zu manchen strenggläubigen Menschen dort kreist ihr Leben nicht nur um die Religion. Rede- und Pressefreiheit sind ihnen wichtig. Mohammed-Karikaturen mögen sie trotzdem nicht.

    Spaziergang
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