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Grüne Magie

Grüne Magie

Titel: Grüne Magie
Autoren: Jack Vance
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stahl?«
    Daraufhin bedachte die Hexe Liane mit einem nachdenklichen Blick. »Hast du jemals von Chun gehört? Von Chun dem Unvermeidlichen?«
    Liane überlegte. »Nein.«
    »Er war es, der die andere Hälfte des Gobelins stahl, und er hing sie in einem marmornen Saal auf, der zu den Ruinen nördlich von Kaiin gehört.«
    »Ha!« brummte Liane.
    »Du findest den Saal am Orte des Raunens. Er wird gekennzeichnet von einer schrägen Säule, die ein schwarzes Medaillon aufweist. Es zeigt sowohl einen Phönix als auch eine doppelköpfige Eidechse.«
    »Ich mache mich auf den Weg«, sagte Liane. »Einen Tag nach Kaiin, einen zweiten Tag, um die fehlende Gobelinhälfte zu stehlen, und einen dritten für die Rückkehr. Drei Tage insgesamt.«
    Lith begleitete ihn zur Tür. »Sei auf der Hut vor Chun dem Unvermeidlichen!« flüsterte sie.
    Fröhlich pfeifend wanderte Liane los, und die rote Feder an seinem Hut tanzte auf und nieder. Lith sah ihm nach, kehrte dann in die Hütte zurück und näherte sich langsam dem Wandbehang. »Goldenes Ariventa«, hauchte sie. »Die Sehnsucht nach dir erfüllt mein Herz mit Kummer…«
    Beim Derna handelt es sich um einen kleineren Strom als den Scaum, und er fließt weiter im Süden. Dort, wo sich die Fluten des Scaum durch ein breites Tal ergießen, in dem purpurne Collinsonien blühen und sich auf den Anhöhen die weißgrauen und pockennarbigen Buckel alter Schlösser und Burgen erheben, hat der Derna eine tiefe Schlucht in den Fels gefressen. Auf den Klippen rechts und links davon wachsen lichte Gehölze.
    Vor langer Zeit führte eine alte und mit Steinen gepflasterte Straße am Ufer des Derna entlang, doch inzwischen war sie teilweise den Stromschnellen zum Opfer gefallen. Auf seinem Weg nach Kaiin war Liane aus diesem Grund mehrmals dazu gezwungen, die Straße zu verlassen und durch das Dickicht aus Dornen und Lossträuchern zu klettern.
    Die blutrote Sonne kroch so langsam über den Himmel wie ein alter Mann, der seinem Totenbett entgegenwankt. Sie hing dicht über dem Horizont, als Liane Porphironklippe erreichte und von dort aus über das weiße Kaiin und die blau glänzende Bucht von Sanreale hinwegblickte.
    Direkt unten sah er den Marktplatz, ein buntes Durcheinander aus Ständen, Buden und kleinen Läden, in denen Obst, fades Fleisch, Muscheln aus dem Uferschlamm und bauchige Kannen mit Wein angeboten wurden. Die stillen und ruhigen Bewohner Kaiins schritten umher, machten ihre Einkäufe und kehrten mit ihren gefüllten Körben anschließend in die steinernen Häuser zurück.
    Auf der anderen Seite des Marktplatzes erhoben sich einige teilweise geborstene Säulen, die aussahen wie die gesplitterten Zähne eines Titanen – einst hatten sie sechzig Meter in die Höhe geragt und zu der Arena gehört, die auf Anweisung des Verrückten Königs Shin errichtet worden war. Jenseits davon, inmitten einer Ansammlung von Lorbeerbäumen, konnte man die glänzende Kuppel des Palastes sehen. Von dort aus herrschte Kandive der Goldene sowohl über Kaiin als auch die Bereiche Ascolais, die man von Prophironklippe aus überblicken konnte.
    An jenem Ort waren die Wasser des Derna nicht mehr so klar wie Kristall. Sie flossen durch ein Netzwerk aus Kanälen und unterirdischen Rohren, und vorbei an den verfallenden Molen sickerten sie schließlich in die Bucht von Sanreale.

Ein Bett für die Nacht, dachte Liane. Und morgen dann ans Werk.
    Er eilte über die im Zickzack angeordneten Stufen der granitenen Treppe und gelangte auf den Marktplatz. Und als er seinen Weg fortsetzte, hielt er es für angeraten, besondere Vorsicht walten zu lassen. Liane der Wanderer war in Kaiin nicht ganz unbekannt, und es gab nicht wenige Leute, die noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen hatten.
    Wachsam schritt er im Schatten der Panonischen Mauer und huschte durch eine schmale Gasse. Gesäumt wurde sie von alten Häusern aus Holz, deren Wände im Lichte der untergehenden Sonne einen satten kastanienbraunen Ton annahmen. Nach einer Weile erreichte Liane den kleinen Platz vor der Schenke zum Magier.
    Der Wirt war ein kleiner dicker Mann mit traurig blickenden Augen und einer zwar kurzen, dafür aber recht breiten Nase, die von der Form her eine Entsprechung des Körpers darstellte. Er war gerade damit beschäftigt, Asche aus dem Kamin zu kratzen. Als er hörte, wie sich die Tür öffnete und wieder schloß, hastete er hinter seinen Tresen.
    »Ein gut gelüftetes Zimmer wünsche ich«, sagte Liane, »und eine Mahlzeit
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