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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
Autoren: Bernd Frenz
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empor, Meonis unterschied sich dabei nur durch den geschulterten Bogen von dem auf der gegenüberliegenden Seite kletternden Anführer. Beide harrten bereits vor einer offenen Scharte aus, als Elra den Mühlenturm erreichte.
    Entschlossen trat sie auf den Eingang zu und hämmerte mit der Faust gegen das rissige Türblatt. »Aufmachen!«, rief sie dabei. »Ich bringe die Waren, die ihr in Leru bestellt habt.«
    Ob ihre Gefährten bereits diesen Moment nutzten, um ins Innere vorzudringen, war leider nicht zu erkennen, denn sie befanden sich nun außer Sichtweite. Bero hielt trotzdem den Atem an und hoffte das Beste.
    Obwohl ihm das Herz bis zum Halse schlug, verhielt er sich vollkommen ruhig, um Elra nicht unnötig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Durch den Korb konnte er über die Schulter der Elbin nach vorne sehen. Jeden Muskel seines kleinen Körpers angespannt, verfolgte er, wie die Tür mit leisem Knirschen einen Spalt breit geöffnet wurde. Ein misstrauisches Frauengesicht lugte hinaus. Der Ruß, mit dem sie ihre Augenlider nachgezogen hatte, war verwischt und ihr Haar arg zerzaust. Und auch sonst machte sie ganz den Eindruck, als hätte sie sich ihren Lohn als Liebesdienerin hart erarbeiten müssen.
    »Wer bist du?«, entfuhr es ihren purpur gefärbten Lippen. »Du bist nicht die Marktfrau, die sonst immer kommt!«
    Die letzten Worte blieben ihr fast im Halse stecken, als sie den scharfen Stahl bemerkte, den ihr Elra an die Kehle presste. »Ganz ruhig«, zischte die Elbin kalt. »Falls du ihn warnst, bist du des Todes.« Das beidseitig geschliffene Messer, das sie unter ihrem Umhang hervorgezaubert hatte, zitterte nicht im Geringsten. Elra wusste ganz genau, was sie tat, und war bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Vermutlich war es diese Entschlossenheit, die jeglichen Widerstand der Frau im Keim erstickte.
    »Schon gut«, flüsterte die andere, während sie die Tür bereitwillig öffnete. »Lass mich einfach nur gehen.«
    Elra bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, dass sie vorsichtig nach draußen treten sollte. Dann zog sie das Messer zurück. Die Angst in dem Gesicht der Fremden wich einer gewissen Erleichterung. Nachdem sie ein paar Schritte Abstand zur Mühle gewonnen hatte, rief sie leise zum Abschied: »Sei vorsichtig, der Kerl da drinnen ist total verrückt.«
    Kurz nachdem Elra ins Innere vorgedrungen war, verstand Bero, was die Frau damit sagen wollte.
    Schon nach wenigen Schritten schlug ihnen ein übler Gestank entgegen, der selbst der Elbin den Atem raubte. Links von ihnen, unterhalb einer Rutsche, auf der früher die vollen Mehlsäcke herabgekommen waren, lag eine bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Frau, über der bereits die Fliegen kreisten. Sie war keinem gewöhnlichen Feuer zum Opfer gefallen, trotzdem hatte irgendetwas so Heißes ihren Rücken getroffen, dass sich ein regelrechter Krater in ihren Körper gebrannt hatte.
    Ihre Haare und das Gesicht hatte es noch weitaus schlimmer erwischt.
    Bero musste unwillkürlich an einen Blitzschlag denken, der einmal auf die Ziegenweide nahe der Schenke niedergefahren war. Da hatte ein unglücklicher Geißbock ähnlich ausgesehen. Mehrere schwarz umrandete Krater in den Wänden bestärkten ihn noch in diesem Vergleich.
    Elra hielt nur kurz in ihrer Bewegung inne, dann eilte sie weiter auf den Durchgang zu, der sie von dem großen Raum mit dem Mahlwerk trennte. Ein von Motten zerfressener Vorhang behinderte die Sicht, trotzdem erklang dahinter eine dunkle Stimme, die rief: »Tritt näher, Elra, ich habe dich gleich erkannt, als du den Pfad heraufgekommen bist.«
    Die Elbin schien nicht sonderlich von diesem Empfang überrascht zu sein, sondern ließ, ohne zu zögern, den Korb von ihrem Rücken gleiten, um sich von der Last zu befreien. Danach steckte sie das Messer zurück in die Scheide an ihrem Gürtel und verschwand, ohne sich Bero noch einmal zuzuwenden.
    Der Halbling wartete, bis der Vorhang wieder geschlossen war, dann drückte er den Deckel des Korbes auf und kletterte vorsichtig hinaus. Trotz der nackten Angst, die durch seine Adern hämmerte, lupfte er den noch in Bewegung befindlichen Stoff zur Seite, um zu sehen, was dahinter vor sich ging. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass alles, was die Mühle einst ausgemacht hatte, entfernt worden war. Statt Zahnrädern und Mahlsteinen gab es nur einen hohen Raum, in dessen oberem Gebälk einige Tauben umherflatterten.
    Mehrere Stühle und Tische nahmen den frei gewordenen Platz ein. Sie waren
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