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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien
Autoren: Nina Bußmann
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der Schonung atmeten, ihre Kühle. Rechter Hand rückte Zwergwacholder aus dem bebuschten Gebiet, an seiner Seite Pfingstrosen, sie wollten nicht zu blühen aufhören. Spät, doch desto heftiger waren sie hervorgebrochen. Im Mai aufgeblüht und noch bis in den Juli hinein quellend, katzenkopfgroß da, glommen sie im Tannenschatten als verschwommene Bälle auf dem nierenförmigen Beet.
    Ich komme nicht mehr zurück, sagte Schramm zur Rektorin. Er hielt den Hörer fest und das Kabel, er würde nicht die Geduld verlieren. Wenn man nur einen Entschluss hat, ist es nicht schwierig, und den hatte er, schon in Vorbereitung auf ihr kurzes Gespräch in der zweiten großen Pause hatte er seinen Entschluss gefasst, bevor er in das Rektorinnenzimmer getreten war. Das Kreischen vom Pausenhof schallte herauf wie das Jubeln, das Scheppern, wenn der Fußball mit Wucht gegen das Gitter hinter den Torpfosten prallte, als Schramm sich im Mantel, Koffer vor dem Bauch, vor den Schreibtisch der Rektorin stellte und mitteilte, dass er heute vor der Zeit gehen müsse, weil ihm nicht gut sei.
    Es war klar gewesen von Anfang an, und klar und fest hatte er zu ihr gesprochen, durch nichts beirrt. Nicht durch den Wind, von dem damals einige redeten, der seit ihrem Amtsantritt in der Anstalt wehte, wie gesagt wurde, immer vor ihr weg wehte, wenn sie in ihren flatternden Gewändern die Gänge des Schulhauses abschritt, mit im Rhythmus ihrer Schritte wogendem Lockenhaar. An jenem Tag noch hatte er begonnen, die Sommerblumen auszupflanzen. Damit durfte nicht mehr gewartet werden. Die Setzlinge hatte er bereits angezüchtet, Levkojen und Zinnien, sie mussten ins Freie. Lange harkte er den Beetstreifen. Es waren diese Vorarbeiten, die am meisten Zeit in Anspruch nahmen, die ihm dennoch lieber waren als die eigentliche, die Hauptarbeit. Wenn er gründlich war, verschwand er in seinen Handgriffen und um ihn die Welt. Am nächsten Morgen hatte er sein Schreiben aufgesetzt.
     
    Er hatte sich nicht vom Amtsarzt untersuchen lassen, auch nicht auf mehrfache Aufforderung hin. Ich bin ja nicht krank, sagte Schramm. Sein Kopf war klar. Die Schreiben des Amtes sammelte er, in der engen Stelle auf der Küchenfensterbank, eingeklemmt zwischen dem Transistor und dem Steinmörser, den er benutzte, um ausgekochte Eierschalen zu zerstoßen. Das Pulver setzte er mit Wasser an zur Herstellung von düngendem Sud. Es war das erste Mal, dass er einer doch aus guten Gründen eingerichteten Regelung nicht folgte. Man tauschte sich aus über ihn, das wusste Schramm. Gut genug kannte er das Lehrerzimmer, bis in den gekachelten Winkel hinein kannte er es, wo dicht am Spülstein ein Plastikpott Brühkaffee in die angesprungenen Tassen der Lehrer spuckte, wenn sie mit der Hand auf den Deckel patschten. Einfach, hieß es, sei es mit ihm niemals gewesen, keine Frau, kein Kind, und nicht einmal ein Hund. Dazu brauchte es nicht viel, sich vorzustellen, wie geschwatzt wurde über die Mutter und ihn, über Waidschmidt und ihn. Leicht, sich herzuleiten, welche Schlüsse gezogen, welche Mutmaßungen aufgestellt wurden, sie lagen nahe. Etwas zu nahe. So, wie die Geschichte und in der Geschichte er gesehen wurde, wusste er jedenfalls, war es nicht gewesen: Wem bereitet solches Wissen nicht Vergnügen, einen stillen Triumph. Vor wenigen Tagen erst war ihm mitgeteilt worden, dass sein Krankenstand sich nicht mehr verlängern ließe, fortan nur noch Versorgungsbezüge gezahlt würden, doch hatte er keine Einwendungen erhoben.
     
    Gestern hatte Viktor seinen Besuch angekündigt. Als das Telefon zum wiederholten Mal nicht aufhören wollte zu läuten, da schon hatte Schramm es gewusst, noch bevor er endlich doch seine Arbeit abgebrochen hatte, ins Haus gelaufen, zuletzt gerannt war, hatte er es gewusst. Niemand sonst, nur der Bruder, meldete sich mit einer solchen Hartnäckigkeit. Kaum zu verstehen war Viktor. Ob alles in Ordnung sei, fragte er. Ob er störe. Er wusste die Antwort sehr gut! Vom fahrenden Auto aus telefonierte er; mehrfach brach die ohnehin schlechte Verbindung ganz ab. Rauschen tönte im Hintergrund und zusätzlich Musik. Musik, wie der Bruder sie bevorzugte. Eine heisere Frauenstimme über klappernden Synkopen. Wie irr hämmerte jemand ein auf das Marimbaphon. Auf Spanisch sang die Frau, man verstand das eigene Wort nicht mehr. Mehrmals musste nachgefragt werden. Auf der Durchreise sei Viktor, so viel konnte Schramm den zu ihm dringenden Bruchstücken entnehmen. Keine
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