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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien
Autoren: Nina Bußmann
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zum Wochenende musste er zu einem Abschluss kommen. Die Natur stundet nicht, sie fragt nicht, ob man ihre Forderungen vielleicht lieber morgen erfüllen will! Ein schöner Garten, denken die Vorübergehenden, doch diese Schönheit gibt es nicht ohne Preis, es ist die Schönheit, die beständige Arbeit verlangt, und mit dem täglichen Harken und Scharren, Graben und Jäten ist es nicht getan, die Schönheit des Gartens erfordert beständiges Überlegen und Planen, Rechnen und Ordnen, Entscheidungen, die Wochen im Voraus zu treffen sind. Die Zierpflanze in ihrer Anmut weiß davon nichts und darf es auch nicht, das muss so sein! Die Rosenbeete wollen gekalkt, der Blauregen geschnitten sein, rechtzeitig vor dem Herbst die Dahlienzwiebeln ausgegraben und am trockenen Ort verwahrt. Die Tage flitzen. Je fester man sich dagegen stemmt, desto rascher flitzen sie. Wir ordnens, damits zerfällt, damit wirs wieder ordnen und so fort … Das klingt traurig, doch es ist auch schön, und es darf für niemanden eine Ausrede sein.

F ür später war Besuch geplant, für den Nachmittag erwartete er den Bruder. Viktor. Tags zuvor war der Anruf gekommen; beinahe hätte Schramm ihn versäumt. Je nach Windrichtung war das Telefon, selbst wenn er es auf die höchste Lautstärke eingestellt hatte, nicht bis in jeden Winkel des Gartens zu hören. Oft genug war er auf Verdacht ins Wohnzimmer gelaufen, doch wenn er abheben und antworten wollte, rührte sich nichts mehr. Höchstens ein Kind, das sich einen Spaß machte, am Telefon zu schweigen, zu seufzen, zu lachen durch ein um den Hörer gebundenes Tuch. Gelegentlich ein Angestellter einer Firma, der eine Meinung erfragen, ein Kaufangebot unterbreiten wollte. Schramm hatte sich das Antworten längst abgewöhnt. Spätestens seit der Geschichte mit Waidschmidt hatte er damit aufgehört. Drauf und dran war er gewesen, den Anschluss abzumelden, oder besser noch, ohne Abmeldung den Stecker zu ziehen. Den Apparat eng in seine Kabel gewickelt und auf den Speicher damit: das wäre das Beste gewesen. So dass dem Anrufer kein Freizeichen, sondern Pfeifen ins Ohr schallte, wie Schramm es sich gern vorstellte, einen an schmerzhaften Frequenzen entlang vibrierenden, hohen Ton.
    Nach der Geschichte mit Waidschmidt waren die Anrufe natürlich häufiger geworden, hatten sie überhaupt erst angefangen, seit der Geschichte mit Waidschmidt hatte er an manchen Nachmittagen kaum eine halbe Stunde Ruhe. Vor den obszönen Flüstereien und zotigen Scherzen, vor den ernsthaften Aufforderungen, sich zu äußern, weil er sich mit nichts mehr schade als mit seinem Schweigen, mit seinem Schweigen reite er sich immer tiefer hinein.
    Schramm hätte sich selbst angezeigt, er hatte jedenfalls alles Nötige getan. Mehr war nicht zu sagen in der Geschichte. Ohnehin hätte Schramm nicht von einer »Geschichte« gesprochen, auch nicht, wie es rasch üblich geworden war, von einer »Angelegenheit«, allerhöchstens von einem Vorkommnis.
    Seit die Ferien angefangen hatten, war es ruhig geworden. Freitagnachmittag war der letzte Anruf aus der Schule gekommen, spät am letzten Tag vor den großen Ferien, in der letzten Juliwoche, das wusste Schramm noch, vergesslich war er nicht. Er erinnerte sich daran, wie er jenen Anruf entgegengenommen hatte. Das Hörerkabel um den Zeigefinger geschlungen, hatte er gestanden, neben dem Telefontischchen im Wohnzimmer, beim Fenster zum schattigen Garten, der satt und feucht im seitlich eindämmernden Streulicht lag. An den Scheiben klebte erhitzt geronnener Regen, fahl bestrahlt vom über die Hangwipfel geschwemmten, im Tal gesammelten Sonnenrest. In angrenzenden Gärten wurde gegrillt. Gelächter strich über den Rasen und Rauch, flach über das Gras, als die Rektorin anrief, zu fragen, wie die Dinge stünden. Da war Schramm schon über Wochen fortgeblieben. Am Tag, als es geschehen war, hatte er die Sommerblumen ausgepflanzt, jetzt standen sie schon kniehoch, Levkojen, Zinnien und Azaleen, dicht gruppiert. Noch ist alles offen, sagte die Rektorin, noch nichts eingetütet, es wird sich eine Lösung finden lassen, mit der alle glücklich sind. Schramm schlang das Kabel enger um seinen Finger, so fest, dass es unter der Beere zu pochen begann. Noch nie war der Rasen in einem besseren Zustand gewesen. Die schwellende Grasnarbe, weggewölbt von den getrimmten Rändern, schwarzen Beeten, kroch unter die tief gebreiteten Zweige der Blautannen, die das Anwesen zum Hang hin abschlossen, den Waldschatten
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