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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien
Autoren: Nina Bußmann
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Mündern arm und albern an. Dort lag der Fehler. Es war zu leicht, falsch verstanden zu werden, es war unmöglich, richtig verstanden zu werden, wahrscheinlich schon zu jener Zeit, dachte Schramm, hatte er das deutlich erfasst. Und für sich die Folgen abgeleitet mit der nur Kindern eigenen Konsequenz. Da hatte er sich den Erdhügel gesucht, diesen nicht hübschen, für seine Zwecke desto passenderen, nesselbewachsenen Haufen im hintersten Gartenwinkel gewählt und die Rückseite zu seinem Burgplatz erklärt. Der Vorderseite durfte sich genähert werden, der Rückseite nicht. Ganze Nachmittage brachte er dort zu und erzählte die Abenteuer nicht mehr, er dachte sie nur. Bis ihm auch dies Denken zu viel Gerede wurde, Gerede, das sich zu leicht verdrehen ließ. Das Schönste war, bloß noch die Namen der Orte herzusagen, im Kopf auszurechnen, wann es dort hell und wann wieder dunkel wurde, zu wissen, was alles an diesen Orten stattfinden konnte und gleichzeitig auf der ganzen Welt. Nur die Möglichkeiten zu denken, ohne ihre Enden, erregte ihn mehr, hielt ihn länger wach als alle bloß von jemandem ausgedachten Geschichten.
    Der Bruder hatte nicht gut zugehört, als Kind nicht und auch später nicht. Nie, dachte Schramm, hatte Viktor ernsthaft das Zuhören gelernt, weshalb also sollte man gerade mit ihm etwas ernsthaft besprechen können. Was erhoffte er sich. Schon zum Erzählen hatte es nie gereicht, nicht einmal zum Erzählen einer Klassenfahrt. Wie er im seichten Wasser gewatet war und einer ihm den Schwamm hingeworfen hatte, lachend vor die Füße. Wie das riecht! hatte das Narbengesicht gerufen. Schramm hätte es mit dem Bruder besprechen wollen. Mit jemandem besprechen müssen, dachte er, und wie er schließlich zur Mutter gefahren war. Aber mit ihr war es schon nicht mehr möglich gewesen. Man brauchte nicht zu meinen, dass er nie mit einer, hätte er ihr sagen mögen, hätte er Waidschmidt sagen müssen, als der ihm dumm gekommen war, wie es ihm nicht zustand, als er mit einem Mal alle unausgesprochenen Regeln zwischen ihnen gebrochen, alles, was vorher unbestimmt und darum gut gewesen war, fade und hässlich gemacht hatte.
    Sobald die Sonne den Hang nicht mehr beschien, wurden in angrenzenden Grundstücken die Rasen besprengt. An allen Tagen von sechs bis sieben das Geräusch, Klopfen und Zischen. Es war nicht gut. Gras ist eine Steppenpflanze, von zu viel Nässe verflachen seine Wurzeln. Aber Schramm ereiferte sich nicht mehr. Er hätte einiges sagen können, Wahrheit oder Pflicht , dachte Schramm, dass ich nicht lache, dachte er. Kennt ihr keine besseren Spiele, hätte er sie fragen müssen, habt ihr wirklich nichts anderes im Sinn. Einiges, das ihm noch eingefallen wäre, aber darauf kam es nicht an. Bei Waidschmidt hätte es nichts ausgerichtet, nichts hätte es mit ihm gemacht. Ihn um nichts kleiner werden lassen, ihm nicht die Gewissheiten genommen, das Wissen um seine Schönheit, um die Lächerlichkeit und Hässlichkeit des Lehrers, des Alten, der lächerlich und hässlich wird, wenn man aufhört, von der Wahrheit zu sprechen, und anfängt, ihn an seinen Körper zu erinnern.
    Waidschmidt bestimmte, wo es langging, von Anfang an hätte man es wissen können, noch im Nachhinein, noch jetzt bestimmte er, dachte Schramm. Wie halten Sie das eigentlich aus, hatte er gefragt, unverwandt und ruhig ihn angeschaut mit diesem neuen, wahrscheinlich vor dem Spiegel eingeübten Blick. Ich an Ihrer Stelle, sagte er, längst den Verstand verloren. Deine Mutter, erwiderte Schramm, sie macht sich Sorgen, sagte er und hatte ihn, für Momente wenigstens, zurechtgerückt, ihm dies gebietende Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Aber nicht lang, dass der Junge sich wieder neu vor ihm aufbaute, spannenlang zu ihm hinabsah. Dieses und jenes reden wir, warum interessiert es Sie so sehr, Herr Schramm.
    Und es war niemandem die Hand ausgerutscht. Nichts, wie Schramm jetzt wieder denken musste, war zufällig geschehen, alles hatte Waidschmidt mit einem Plan und einer Absicht hingeführt zu diesem einen Punkt. Jede Äußerung ein Zug, der auf jeglichen Gegenzug eine Erwiderung wusste und auf den folgenden wieder eine. Und sogar den sogenannten Zusammenbruch, dachte Schramm, mitbedacht und mitgeplant als die aus dem Vorangegangenen notwendig folgende Konsequenz. Bis zum Schluss, dachte Schramm, ist er dir voraus gewesen, über und voraus gewesen, noch als Waidschmidt mit ihm auf seine Hand geschaut hatte, auf Schramms zum Schlag
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