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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien
Autoren: Nina Bußmann
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wieder da wäre, fragte Schramm sich fortan jeden Tag, den er schwimmen ging. Bei den Schwimmern mit ihren Hauben und Brillen waren seine Gedanken, an dem einen Tag, den Pfiff des Bademeisters hatte er bereits im Ohr, beim Fahren bergan, auf der schmalen, in breitem Bogen zum Waldbad verlaufenden Straße. Von weitem sah er zuerst nur irgendein Paar. Erst im Herannahen, in den Pedalen stehend, erkannte er das karierte Hemd Viktors, sein drahtig gesträubtes Haar, das Aufblitzen seiner Brillenbügel, wenn er den Kopf leicht drehte, in einen durch eine Öffnung zwischen den Nadelkronen gefallenen Strahl hinein. Und anstatt weiterzufahren, um sie einzuholen und ein paar Worte mit ihnen zu wechseln, stieg er ab, sah von weitem zu, wie das Mädchen bestimmte, wo Halt gemacht wurde, sie war es, die sich vor dem Bruder geduckt ins Gestrüpp am Wegesrand schlug, die dornigen Gerten mit beiden Händen auseinanderdrückte.
    Schramm schob das Fahrrad, der Freilauf zirpte. Ob sie ihn, über das aus dem Bad tönende Lachen, Schreien, Platschen hinweg hören konnten. Sag doch einen Ton, sagten die Erwachsenen zu ihm, weil er sich selbst lauter hörte, als es andere taten. Schleich nicht wie ein Dieb.
    Der späte Nachmittag, Geschrei aus dem Bad und Geruch von Nadeln und Rinden, vom Chlor, das der Bademeister jeden Morgen auf das Wasser streute. Das zwischen den Föhren zu Keilen gebündelte, schräg ins dürre Gestrüpp, gegen seine Speichen und Katzenaugen geworfene Licht. Seinem unguten Gefühl zuwider, ließ er das Fahrrad am Wegrand liegen, bei den Birken kurz vor dem Holzschuppen bei der Eingangskasse. Er wollte nicht sehen, was als Nächstes käme, und wollte es auch nicht versäumen, jetzt, da er ihnen schon so weit gefolgt war. Nicht hübsch, aber er hatte nicht fortsehen wollen, erinnerte er sich, und dachte daran, wie er gewartet hatte, dass etwas Großes geschähe, doch während er noch wartete, war es auch schon vorbei. Davon wurde so viel Aufhebens gemacht, das sollte es also gewesen sein. Wussten die Menschen nichts Besseres mit sich anzufangen.
    Wenn das alles sein sollte, dachte er, weiß Gott gab es Besseres zu tun. Auf diese Art, dankend ablehnend, hätte er sie leichthin abwehren können, die Bemerkung Waidschmidts. Wollen Sie uns hinterher. Schramm schüttelte, in kleinen, doch heftigen Bewegungen den Kopf. Dankend ablehnen, nicht unfreundlich: Es muss ja nicht sein, dachte Schramm, mit dieser Art des Antwortens hätte auch ein Waidschmidt nichts anzufangen gewusst. Verwirrt hätte es ihn, den Wind aus den Segeln genommen, wie Schramm es sich vorstellte. Es nützte nichts, aber schon die Vorstellung vergnügte ihn, und wenigstens für eine Weile standen die Gedanken still. Er wollte dem Hund zusehen, der jetzt nah der Gartengrenze zu graben begonnen hatte, Aas witterte oder Mäuse, wer wusste es. Mit beiden Vorderpfoten grub er, dass die Erde in Brocken hinter ihm fortflog, der dürr gewellte Zaun wankte und wippte. Ständig Aufmerksamkeit, dachte Schramm, ständig Erregung in diesem Haustierleben, das doch im Großen und Ganzen aus nichts als Warten bestand, Wittern und Warten, auf eine Beute, eine Fährte, einen Befehl oder wenigstens einen neuen Geruch.

E r würde es nicht laut sagen. Aber etwas störte ihn, wenn er an die kleine Frau dachte, die der Bruder neulich hergebracht hatte. Ihr beharrendes Nachfragen, das zuerst anregend auf die Stimmung gewirkt und sie zuletzt ganz vergiftet hatte. Sie hatte nicht verstanden, wann es ein Ende haben musste, nicht gemerkt, wann der Spaß vorbei war, oder aber, dachte Schramm, es in Wahrheit ganz genau gewusst und nur aus dem Grund nicht aufgehört, weil ihre Neugierde angestachelt war, nachdem einer von ihnen beiden das Gespräch, beiläufig bloß, auf die Lieder des Vaters gebracht hatte, die Schallplatte, die der Vater, nicht lang vor dem Unfall, selbst aufgenommen hatte. Niemand hat sie angehört, sagte der Bruder, bis heute hat niemand Lust dazu gehabt. Das ist doch seltsam, meinte die Frau, und begann, nach einer Reihe von Einzelheiten zu fragen. Welche Lieder, und wie er überhaupt an die Möglichkeit gekommen sei, ob so etwas nicht eine Menge koste, und: Kann ich sie sehen. Ahnungslos stellte sie ihre Fragen, in Wirklichkeit ging sie wahrscheinlich mit genauem Bewusstsein vor, mit Bedacht und Geschick, dachte Schramm, wie es nötig ist, wenn man die Antwort genau kennt, jedoch den anderen zu einer bestimmten Reaktion lenken will. Kann man sie denn einmal
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