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Grolar (German Edition)

Grolar (German Edition)

Titel: Grolar (German Edition)
Autoren: Thorsten Nesch
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beobachtete.
    Wieder dieses hohe Geräusch voller Angst aus seinem eigenen Mund. Vorsichtig nahm er einen Ast auf, einen möglichst dicken, ohne dabei seine Umgebung aus den Augen zu lassen. Der Stock war krumm aber nicht morsch, lang wie ein Baseballschläger, wenn auch nicht ganz so dick an seiner breitesten Stelle.
    Rückwärts, nicht dem Tier den Rücken zeigen, hörte er die Stimme des Rangers, der sie alle zwei Jahre im Verhalten bei einem Tierangriff nachschulte. Und so tastete er sich vorsichtig weg von seinem Freund, dem er nicht mehr helfen konnte, soviel war klar, selbst wenn er überleben sollte: Wer wollte so entstellt sein?
    Schritt für Schritt um sich schauend, ein Geräusch erwartend, ein Knacken, ein Knurren, irgendwas, bewegte er sich rückwärts.
    »Bis gleich Barry, ich hole Hilfe«, flüsterte er mit gebrochener Stimme.
    Wasser lief ihm in die Augen, er blinzelte, seine Hacke rutschte seitlich weg, und er landete auf seinem Hintern, rappelte sich hoch, hörte es, rappelte sich panisch hoch, während Zweige brachen hinter ihm, wie schwere Pfoten oder Tatzen über den nassen Waldboden stampften, zum Schnaufen des Todes. Er fuhr herum. Ein riesiges Maul. Zähne. Knirschen. Schwärze.
     
     
Jon schaute in den Rückspiegel nach seinem Sohn. Cliff saß angeschnallt auf seinem Kindersitz und hielt eine rote Tupperdose in seinem Schoß. Mit einer Gabel spießte er Obststücke auf, die rasch in seinem Munde verschwanden, die Wangen dick, bereits das nächste Stück fixierend.
    Durch die Heckscheibe sah Jon das unverbrannte Öl des Motors in dunklen Wolken hinter seinem alten Ford 150 auseinanderwabern. Vor allem bei Steigungen wie dieser war der graue Dunstschleier so dicht, dass selbst der starke Regen ihn nicht so schnell zersetzen konnte. Der Pick-up musste noch diesen Sommer halten. Genau wie letzten Sommer und den Winter davor.
    »Guckst du auch nach vorne?«, sagte Tara, die neben ihm saß, die Hände flach auf ihrer Jeans.
    »Klar.«
    Seit er sie am Flughafen begrüßt und Tara ihm erzählt hatte, wie schrecklich der Flug gewesen war wegen des Unwetters und Cliff, der nicht still sitzen konnte, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Jon brach einige Male das Schweigen, bis sie sich entschuldigte, sie wäre müde von der Reise. Drei Stunden Flug entlang der Rocky Mountains, die unter einer schwarzen Wolkendecke begraben lagen. Aber sie war nicht müde, sie war gereizt.
    Sechs Wochen hatte er Tara nicht gesehen, und jetzt hockte sie da mit ihrer orange-schwarzen National Geographic Fleecejacke und beobachtete die Straße vor ihnen wie der Copilot bei einer Autorallye. Aus ihrem braunen Zopf standen etliche Haarsträhnen ab.
    »Und? Wie läuft es wirklich mit dem Gold?«, fragte sie ansatzlos. Sie musste seinen Blick bemerkt haben.
    Vor einem halben Jahr hatte er Rays Anzeige in der Vancouver Sun gelesen. Er suchte noch einen »echten Typen«, der ein Risiko auf sich nehmen wollte, unentgeltlich, ohne Bezahlung, um mit ihm auf Basis einer Gewinnbeteiligung auf einem Claim nach Gold zu schürfen. Dafür würde derjenige großzügig am Gewinn beteiligt. Risiko hat eben seinen Preis.
    Für Jon war das keine Frage des Risikos, es war die Antwort auf mangelnde Alternativen. Was sollte er tun? Sein alter Arbeitgeber Young & Sons hatten ihn entlassen müssen, und nach Monaten ohne Aussicht auf einen neuen Job auf dem Bau wurde das Geld knapp. Seine Referenzen waren fantastisch, aber die Leute hatten einfach nicht das Geld, neue Häuser zu bauen, ja, oft nicht einmal dafür, ihre angefangenen Baustellen zu Ende zu bringen.
    Ray suchte für sein Team jemanden, der mit Bagger und Radlader umzugehen verstand, und damit kannte sich Jon seit zehn Jahren aus. Würde es gut laufen bei diesem Abenteuer, könnten Tara und er noch einmal neu anfangen.
    Auf der anderen Seite lernte er das Goldschlürfen, was seiner Ansicht nach kein Fehler war, schließlich lagen die Jobs für Bauarbeiter seit der Krise nicht mehr auf der Straße, und in einem Büro zu arbeiten, konnte er sich nicht vorstellen – abgesehen davon würde ihn niemand für einen Bürojob einstellen.
    Saisonarbeit war er gewohnt, also überzeugte er Tara von der Idee, denn sie war zunächst dagegen gewesen. Aber es gab keine andere Möglichkeit, wollten sie in naher Zukunft aus dem Basement-Appartment bei ihren Eltern wieder ausziehen. Ihr
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