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Grolar (German Edition)

Grolar (German Edition)

Titel: Grolar (German Edition)
Autoren: Thorsten Nesch
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Plastikweste.
    Mit den Händen formte er einen Trichter vor seinem Mund und rief, so laut er konnte, »Barry, alles klar? Sag was, Buddy!«
    Angestrengt spähte er zwischen den Baumstämmen durch, die hinter dem Regenvorhang grau erschienen. Er beugte sich nach links und nach rechts, Wasser tropfte vom Helm herunter. Vergebens.
    Er flüsterte, »Scheiße, Mann«, dann ging er langsam auf das Ende der Lichtung zu, die Hände in den Hüften, und sagte lauter, »hör auf mit dem Scheiß, wir sind fertig, so gut wie fertig, der Fluggy stand perfekt da.«
    Er blieb auf der Hälfte des Weges stehen und horchte. Nicht ein Wort, nichts war zu hören. Und er bemerkte die Stille, neben dem Prasseln des Regens herrschte eine absolute Stille. Die Vögel schwiegen, die Tiere, Barry. Das war nicht sein Stil, er fühlte ein Kribbeln im Nacken.
    Bei Regen waren die Vögel leiser, aber in dieser Gegend hörte man immer einige. Still war es nie.
    Ein Bär oder ein Puma könnte in der Nähe sein. Das gab es immer wieder in ihrem Beruf, wenn sie im Wald waren, in der Wildnis, und deswegen hatten sie das Spray dabei. Aber deswegen waren sie auch immer laut, um kein Tier zu erschrecken. Und sie waren laut gewesen, sie hatten gerufen.
    »Barry! Barry!«
    Seine rechte Hand öffnete die Ledertasche mit dem Pfefferspray. In dem Moment, als der Knopf der kleinen Tasche mit einem leisen
Plick
aufschnippte, hörte er vor sich ein schabendes Geräusch. Dann kippte Barry stehend und blutüberströmt hinter einem Baum hervor, stützte sich mit einem steifen Ausfallschritt ab und landete schwer mit der Schulter an dem nächsten Baum, wo er schief stehen blieb.
    Ned konnte nichts sagen, er konnte sich nicht bewegen.
    Er konnte noch nicht einmal erkennen, ob es sich bei der geschundenen Person vor ihm um eine Frau oder einen Mann, um einen Asiaten einen Schwarzen oder Weißen handelte, er sah aus wie im Blut getaucht. Er wusste nur aufgrund der Hose und dem Rest der Warnweste, dass es sein Kollege war, der da vor ihm stand und starb.
    Seine zerfetzte Kleidung hing zusammen mit den Haut- und Muskellappen an ihm herunter wie Lametta an einem Weihnachtsbaum. Sein Mund und die Augen waren aufgerissen und halb verdeckt von den Haarklumpen, die einen Großteil seines zerschnittenen Gesichts verdeckten. Blut pulsierte aus den tiefen Wunden, mischte sich mit dem Regen und floss in Bächen an ihm herab.
    Eine rosa Blase zerplatzte zwischen seinen zerstörten Lippen, dann knickten seine Knie herein, und er fiel in sich zusammen wie eine Marionette.
    Hastig schaute sich Ned nach allen Seiten um. Nichts zu sehen, von dem, was seinen Freund so zugerichtet hatte.
    Seine Hände zitterten, seine Beine. Ihm entwich ein heller Laut, und er haspelte das Pfefferspray heraus, es glitt durch seine feuchten Finger und verschwand im toten Holz zwischen seinen Füßen.
    »Nein.«
    Das Prasseln des Regens.
    Ihm war nach Schreien zumute. Er hielt sich aber zurück, weil er sich nicht sicher war, ob er das Tier, den Bären oder den Puma dadurch provozieren würde.
    Barrys blutiger Arm zuckte.
    Hingehen oder nicht?
    Der Van stand unten an der Straße, eine halbe Meile entfernt.
    Kein Vogelgezwitscher.
    »Gott.«
    Das Knacken eines Astes im Wald.
    Barrys Zwillinge, Anna.
    Nichts zu sehen.
    »Gott, oh Gott.«
    Eine halbe Meile bergab durch schlechtes Gelände, feucht und dunkel, parkte der Van an der Straße.
    Ein leises Stöhnen von Barry.
    Er konnte ihn hier nicht einfach so zurücklassen, sterbend.
    Das Gefühl, heulen zu müssen, stieg in ihm hoch, nicht zugelassen vom Adrenalin. Er wollte heulen um seinen Freund, um seine Familie, die Zwillinge, die er so liebte, die eine Zukunft mit einem Vater wie ihm verdient hatten, und die sich nicht verabschieden konnten.
    Er dachte an Jennifer, sie war erwachsen. Seine Tochter hatte letztes Jahr geheiratet, lebte seit Jahren bei Steve in Kelowna. Ned und Heather hatten das Haus für sich, daher überlegten sie, es zu verkaufen und sich eine Wohnung zu besorgen.
    Er wusste, dass es noch nicht vorbei war, dass da irgendwo etwas lauerte, ein großer Puma oder ein Bär, ein Grizzly vermutlich, wahrscheinlich sogar, wenn er sich die Verletzungen anschaute. Der lauerte da noch, beobachtet von den schweigenden Vögeln, wie er Barry und ihn schweigend
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