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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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ewig.«
    Grischa und Matrosen drehten sich nach uns um, als wir vom Heck zum Bug gingen. Vor dem Besanmast hob ich den Kopf und erblickte hoch oben den jungen Mann und die dunkelhaarige Frau, die ich im Traum gesehen hatte. Sie saßen wie zwei Raubvögel in der Takelage und schauten aus ihren goldschimmernden Augen auf uns herab.
    Sie waren mir also nicht im Traum erschienen. Sie waren tatsächlich in meiner Kabine gewesen.
    Iwan führte mich zum Bug des Schiffes. Dort erwartete mich der Dunkle. Er hatte uns den Rücken zugekehrt, blickte über den Bugspriet zum blauen Horizont. Seine schwarze Kefta bauschte sich wie ein tintenschwarzes Kriegsbanner.
    Genja und Iwan verneigten sich und ließen uns allein.
    »Wo ist Maljen?«, stieß ich heiser hervor, denn meine Kehle war noch rau.
    Der Dunkle drehte sich nicht um, schüttelte aber den Kopf und sagte: »Immerhin bist du durchschaubar.«
    »Tut mir leid, wenn ich dich langweile. Wo ist er?«
    »Woher willst du wissen, dass er noch lebt?«
    Mein Magen krampfte sich zusammen. »Weil ich dich kenne«, sagte ich mit einer Gewissheit, die ich so nicht empfand.
    »Und wenn er tot wäre? Würdest du dich dann ins Meer stürzen?«
    »Nicht, ohne dich mitzureißen. Wo ist er?«
    »Dreh dich um.«
    Ich fuhr herum. Weit hinten auf dem Deck, hinter einem Gewirr von Tauen und Takelage, sah ich Maljen. Er stand zwischen zwei Wächtern der Korporalki, doch sein Blick war auf mich gerichtet. Er hatte darauf gewartet, dass ich mich umdrehte. Ich wollte auf ihn zugehen. Der Dunkle packte mich am Arm.
    »Hiergeblieben«, sagte er.
    »Ich will mit ihm sprechen«, bat ich und hasste mich für die Verzweiflung in meiner Stimme.
    »Auf keinen Fall. Ihr zwei habt die dumme Angewohnheit, Unbesonnenheit mit Heldenmut zu verwechseln.«
    Der Dunkle hob eine Hand und Maljen wurde abgeführt. »Alina!«, brüllte er, woraufhin ein Wächter ihn heftig ins Gesicht schlug.
    »Maljen!«, schrie ich, als sie ihn mit großer Anstrengung unter Deck schleiften. »Maljen!«
    Ich entriss meinen Arm dem Griff des Dunklen und sagte mit wuterstickter Stimme: »Wenn du ihm wehtust …«
    »Ich werde ihm nicht wehtun«, erwiderte er. »Jedenfalls so lange, wie er noch von Nutzen für mich ist.«
    »Ich verlange, dass man ihm nichts antut.«
    »Er hat nichts zu befürchten, Alina. Aber nimm dich in Acht, denn wenn einer von euch beiden aufmuckt, wird der andere dafür büßen. Das habe ich auch ihm schon gesagt.«
    Ich schloss die Augen und versuchte, meine rasende Wut und die Hoffnungslosigkeit niederzukämpfen. Wir waren wieder dort, wo wir begonnen hatten. Ich nickte kurz.
    Der Dunkle schüttelte den Kopf. »Ihr macht es mir so leicht: Wenn ich ihn steche, bist du es, die blutet.«
    »Das begreifst du einfach nicht, oder?«
    Er tippte auf Morozows Halsreif, fuhr mit den Fingern über meine Kehle. Die Berührung war sanft, öffnete aber sofort die Verbindung zwischen uns und ich wurde von der Macht durchhallt, als wäre eine Glocke angeschlagen worden.
    »Ich begreife genug«, sagte er leise.
    »Ich will ihn sehen«, sagte ich gepresst. »Täglich. Ich will den Beweis, dass es ihm gut geht.«
    »Aber gern. Ich bin nicht grausam, Alina. Nur vorsichtig.«
    Ich hätte fast gelacht. »Hast du mich darum von einem deiner Ungeheuer beißen lassen?«
    »Nein, das war nicht der Grund«, sagte er, ohne mich aus den Augen zu lassen. Sein Blick glitt zu meiner Schulter. »Tut es weh?«
    »Nein«, log ich.
    Seine Lippen verzogen sich zur Andeutung eines Lächelns. »Du wirst genesen«, sagte er. »Aber deine Wunde wird nie ganz verheilen. Selbst die Grischa sind da machtlos.«
    »Diese Geschöpfe …«
    »Die Nitschewo’ja .«
    Die Nichtwesen . Ich erschauderte, als ich mich an ihr Surren und Schnarren und ihre gähnenden Mäuler erinnerte. Meine Schulter pochte schmerzhaft. »Was sind sie?«
    Er verzog den Mund. Das Narbengespinst in seinem Gesicht war fast unsichtbar; es glich dem Geist einer Landkarte. Eine Narbe verlief gefährlich dicht neben dem rechten Auge, das er offenbar fast verloren hätte. Dann legte er mir eine Hand auf die Wange, und als er sprach, klang er beinahe zärtlich.
    »Sie sind nur der Anfang«, flüsterte er.
    Er ließ mich am Bug stehen. Ich spürte noch immer seine Berührung auf der Haut, mein Kopf schwirrte von Fragen.
    Bevor ich meine Gedanken ordnen konnte, erschien Iwan und zerrte mich wieder über das Deck. »Nicht so schnell«, protestierte ich, aber er riss mich nur umso heftiger mit.
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