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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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mich und ich blinzelte die Lichtpünktchen weg, die vor meinen Augen tanzten. In der Luft lag ein penetranter Geruch, der meinen Magen nicht gerade beruhigte. Ich zwang mich, tief und rüttelnd Luft zu holen.
    Genjas rote Kefta war blau bestickt, eine Farbkombination, wie sie kein anderer Grischa trug. Das Gewand war schmutzig und stellenweise fadenscheinig, aber ihre Locken waren makellos frisiert und sie war schöner als jede Königin. Sie setzte einen Zinnbecher an meine Lippen.
    »Trink«, sagte sie.
    »Was ist das?«, fragte ich misstrauisch.
    »Einfach nur Wasser.«
    Als ich ihr den Becher abnehmen wollte, stellte ich fest, dass meine Handgelenke in Ketten lagen. Ich hob ungelenk die Hände. Das Wasser schmeckte metallisch, aber ich war wie ausgetrocknet. Ich trank und hustete, trank durstig weiter.
    »Langsam«, sagte sie und strich mir die Haare aus dem Gesicht, »sonst wird dir schlecht.«
    »Wie lange?«, fragte ich mit einem Blick auf Iwan, der in der Tür lehnte und mich betrachtete. »Wie lange war ich nicht bei Bewusstsein?«
    »Etwas über eine Woche«, antwortete Genja.
    »Eine Woche ?«
    Panik ergriff mich. Iwan hatte meinen Herzschlag eine ganze Woche gedrosselt, damit ich bewusstlos blieb.
    Als ich auf die Beine kam, schoss mir das Blut in den Kopf. Ich wäre umgekippt, wenn Genja mich nicht gestützt hätte. Ich kämpfte gegen meine Benebelung an, schüttelte sie ab, torkelte dann zum Bullauge und warf einen Blick durch das beschlagene Glasrund. Nichts. Nur blaues Meer. Weder Hafen noch Küste. Wir hatten Nowij Sem weit hinter uns gelassen. Ich kämpfte gegen die Tränen an, die mir in die Augen zu treten drohten.
    »Wo ist Maljen?«, fragte ich. Als ich keine Antwort bekam, drehte ich mich um. »Wo ist Maljen?«, wollte ich von Iwan wissen.
    »Der Dunkle will dich sehen«, sagte er. »Kannst du selbst laufen oder muss ich dich tragen?«
    »Gib ihr eine Minute Zeit«, bat Genja. »Dann kann sie etwas essen und sich das Gesicht waschen.«
    »Nein. Führt mich zu ihm.«
    Genja runzelte die Stirn.
    »Ich bin wohlauf«, sagte ich trotzig, obwohl ich mich schwach und wackelig auf den Beinen fühlte. Ich hatte auch Angst, wollte mich aber auf keinen Fall wieder in die Koje legen. Außerdem brauchte ich kein Essen, sondern Antworten.
    Beim Verlassen der Kabine schlug uns bestialischer Gestank entgegen – nicht der übliche Schiffsgeruch nach Brackwasser, Fisch und Körperausdünstungen, den ich von unserer Fahrt auf der Verrhader kannte, sondern etwas viel Ekelhafteres. Ich musste würgen und schloss den Mund. Plötzlich war ich froh, nichts gegessen zu haben.
    »Was stinkt hier so?«
    »Blut, Knochen, Tran«, sagte Iwan. Wir waren an Bord eines Walfängers. »Man gewöhnt sich daran«, fügte er hinzu.
    » Du gewöhnst dich daran«, gab Genja zurück und rümpfte die Nase.
    Sie brachten mich zu einer Luke, die an Deck führte. Iwan stieg die Treppe hinauf und ich folgte ihm so rasch wie möglich, weil ich endlich dem finsteren Schiffsbauch und dem Fäulnisgestank entkommen wollte. Wegen meiner Fesseln fiel mir der Aufstieg schwer, und Iwan, der auf den letzten Stufen die Geduld verlor, packte meine Handgelenke und schwang mich auf Deck. Ich atmete die kalte Luft tief ein und blinzelte in das grelle Licht.
    Alle Segel waren gehisst. Der Walfänger durchpflügte die Wellen, angetrieben von drei Grischa-Stürmern, die in blauer, wehender Kefta und mit erhobenen Armen neben den Masten standen. Ätheralki des Ordens der Beschwörer. Vor ein paar Monaten war ich noch eine von ihnen gewesen.
    Die Besatzung des Schiffes bestand aus grobschlächtigen Männern, fast alle barfuß, weil sie auf den feuchten Planken nicht ausrutschen wollten. Keine Uniform, sie waren also keine Militärangehörigen. Und eine Flagge hatte man auch nicht gehisst.
    Die anderen Grischa aus dem Gefolge des Dunklen waren unter den Matrosen leicht zu erkennen, nicht nur wegen der bunten Keftas, sondern auch, weil sie müßig an der Reling lehnten, auf das Meer schauten oder plauderten, während die Seeleute arbeiteten. Ich sah sogar eine Fabrikatorin mit purpurfarbener Kefta, die lesend vor einer Taurolle saß.
    Als wir auf dem Deck an zwei riesigen, schmiedeeisernen Kesseln vorbeikamen, stieg mir wieder der beißende Gestank in die Nase, der mir unten fast die Sinne geraubt hätte.
    »Das sind die Kessel, in denen Tran ausgekocht wird«, sagte Genja. »Auf dieser Reise waren sie noch nicht in Gebrauch, aber der Gestank hält sich
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