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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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schwören können, ein Klirren von Ketten zu hören.
    Dann erreichte die Kogge ihren Liegeplatz. Man senkte die Laufplanke auf die Mole. Hafenarbeiter und Besatzung begrüßten einander lautstark, lösten Taue, bereiteten das Löschen der Ladung vor.
    Der Junge und das Mädchen suchten die Menschenmenge im Hafen mit Blicken nach dem Karmesinrot der Entherzer und dem Blau der Beschwörer ab, nach dem Aufblitzen der Gewehre von Soldaten aus Rawka.
    Und dann war es so weit. Der Junge ergriff ihre Hand. Nach der tagelangen Arbeit an den Tauen war seine Handfläche rau und schwielig. Als sie auf die Planken der Mole traten, schien der Boden unter ihren Füßen zu schwanken.
    Die Seeleute lachten. »Vaarwel, fentomen!«, riefen sie.
    Der Junge und das Mädchen gingen weiter, taten ihre ersten Schritte in der neuen Welt.
    Bitte , betete das Mädchen im Stillen zu den Heiligen, die sie hoffentlich erhörten, lasst uns hier sicher sein. Lasst uns hier ein Zuhause finden.

Wir hielten uns nun schon zwei Wochen in Kofton auf, aber ich fand mich immer noch nicht zurecht. Die Stadt lag westlich der Küste von Nowij Sem im Binnenland, viele Werst von dem Hafen entfernt, in dem wir an Land gegangen waren. Bald würden wir uns tiefer ins Landesinnere wagen, bis in die urtümliche Grenzmark von Semeni. Dort, so hofften wir, wären wir endgültig in Sicherheit.
    Ich studierte meinen kleinen, selbst gezeichneten Stadtplan und machte mich auf den Heimweg. Ich traf Maljen täglich nach der Arbeit, um mit ihm zur Herberge zurückzukehren, aber heute war ich vom vertrauten Weg abgewichen, um das Abendessen zu kaufen, und hatte mich verlaufen. Die mit Kohl und Kalbfleisch gefüllten Pasteten, die ich in meinem Lederbeutel verstaut hatte, stanken penetrant. Der Händler, der sie als Semeni-Delikatesse angepriesen hatte, hatte mich vermutlich übers Ohr gehauen, aber das konnte mir egal sein, denn in letzter Zeit schmeckte sowieso alles, was ich aß, nach Asche.
    Maljen und ich waren nach Kofton gekommen, um Geld für unsere Weiterreise nach Westen zu verdienen. Die Stadt, das Zentrum des Jurda -Handels, war umgeben von Feldern, auf denen die kleinen Blumen mit den orangefarbenen, anregend wirkenden Blüten angebaut wurden. In Rawka galten sie als Seltenheit, aber die Menschen hier verbrauchten sie gleich büschelweise. Manche Matrosen auf der Verrhader hatten sie gekaut, um während der langen Wachen nicht einzuschlafen. Die Männer Semenis schoben die getrockneten Blüten am liebsten hinter ihre Unterlippe, die Frauen trugen sie am Handgelenk in bestickten Beuteln bei sich. Jedes Schaufenster, an dem ich vorbeikam, warb für eine andere Sorte: Goldblatt, Die Wucht, Fegefeuer, Rausch & Ruhm. Einmal sah ich, wie ein bildhübsches Mädchen einen ganzen Mundvoll rostroten Saftes in einen dieser Bronzenäpfe spuckte, die vor jeder Ladentür standen. Eine ekelhafte Sitte in Semeni, an die ich mich wahrscheinlich nie gewöhnen würde.
    Ich bog mit einem Seufzer der Erleichterung in die Hauptstraße ein, hier fand ich mich endlich wieder zurecht. Kofton kam mir immer noch unwirklich vor. Die Stadt hatte etwas Grobes und Unfertiges. Fast alle Straßen waren ungepflastert und die Gebäude mit ihren dünnen Holzwänden und flachen Dächern erweckten den Eindruck, jeden Moment einstürzen zu wollen. Trotzdem zeugte die Stadt von Reichtum: Alle Fenster waren verglast, die Kleider der Frauen waren aus Samt und oft mit Spitzenstickereien verziert. In den Auslagen der Läden wurden keine Gewehre, Messer oder Kochtöpfe zum Kauf angeboten, sondern Schlemmereien, Kostbarkeiten und Nippes. Sogar die Bettler trugen Schuhe. So sah es in einem Land aus, das sich nicht ständig im Krieg befand.
    Als ich an einem Schnapsladen vorbeiging, sah ich aus den Augenwinkeln, wie etwas Rotes vorbeihuschte. Korporalki . Mein Herz hämmerte und ich duckte mich in den Schatten zwischen zwei Häusern, griff nach der Pistole an meiner Hüfte.
    Zuerst der Dolch , ermahnte ich mich und ließ die Klinge aus dem Ärmel gleiten. Ja kein Aufsehen erregen. Pistole nur im Notfall. Macht als letzter Strohhalm. Ich vermisste wieder meine von den Fabrikatoren angefertigten Handschuhe, die ich in Rawka gelassen hatte. Sie waren von kleinen Spiegeln bedeckt, so dass ich meine Gegner bei Zweikämpfen mühelos blenden konnte. Sie waren eine gute Alternative zum »Schnitt«, der jeden Feind der Länge nach halbierte. Wenn mich ein Entherzer der Korporalki entdeckte, hätte ich allerdings keine
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