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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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Geste etwas auf den Tisch. Mit einem leisen Klimpern landete es neben der Waschschüssel. Ich erkannte eine der goldenen Nadeln, die Genja vor vielen Wochen in mein Haar gewoben hatte. Wir hatten mit diesen Nadeln alles bezahlt: die Schiffspassage über die Wahre See, die Kutschfahrt nach Kofton, das schmuddelige, nicht ganz ungezieferfreie Bett.
    Im Zimmer lag ein unheilvolles Knistern, als der Dunkle sich vom Stuhl erhob. Alle Grischa schienen Luft geholt zu haben und abwartend den Atem anzuhalten. Ihre Furcht war mit Händen zu greifen, und mich durchzuckte ein Schreck. Untergebene waren dem Dunklen immer mit Ehrfurcht und Respekt begegnet, aber diese Angst war neu. Sogar Iwan, hatte ich den Eindruck, fühlte sich in seiner Haut nicht ganz wohl.
    Der Dunkle trat ins Licht. Ich entdeckte ein feines Gespinst von Narben auf seinem Gesicht. Ein Korporalnik hatte die Wunden geheilt, aber sie hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Volkra hatten ihn also mit ihren Klauen gezeichnet. Gut so , dachte ich mit unangebrachter Selbstzufriedenheit. Das war nur ein kleiner Trost, aber immerhin war die makellose Schönheit des Dunklen dahin.
    Er stand da und betrachtete mich. »Wie gefällt dir das Leben im Verborgenen, Alina? Du siehst nicht gut aus.«
    »Du auch nicht«, erwiderte ich. Und das lag nicht nur an den Narben. Er trug die Erschöpfung zwar wie einen eleganten Mantel, aber sie war ihm anzusehen. Er hatte fahle Ringe unter den Augen, und die markanten Wangenknochen traten stärker hervor als früher.
    »Mag sein. Aber es hat sich gelohnt«, sagte er und verzog die Lippen zur Andeutung eines Lächelns.
    Ein Schauder lief mir über den Rücken. Gelohnt? Wofür?
    Er streckte einen Arm nach mir aus und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zurückzuzucken. Aber er griff nur nach einem Zipfel meines Schals und zog behutsam daran. Die grobe Wolle löste sich, glitt von meinem Nacken und segelte zu Boden.
    »Wie ich sehe, machst du dich wieder einmal kleiner, als du bist. Diese Maskerade steht dir nicht.«
    Ich war kurz beunruhigt. Hatte ich nicht vor Minuten das Gleiche gedacht? »Schön, dass du dir Gedanken um mich machst«, murmelte ich.
    Er strich über den Halsreif. »Er gehört genauso mir wie dir, Alina.«
    Ich schlug seine Hand weg. Unter den Grischa wurde ängstliche Unruhe laut. »Dann hättest du ihn mir nicht um den Hals legen sollen«, fauchte ich. »Was willst du?«
    Ich wusste natürlich längst, dass er alles wollte – Rawka, die Welt, die Macht der Schattenflur. Seine Antworten waren mir egal. Er sollte nur weitersprechen. Dass dieser Moment kommen würde, hatte ich gewusst, und ich war darauf vorbereitet. Ich würde nicht zulassen, dass er mich noch einmal in die Fänge bekam. Ich warf Maljen einen kurzen Blick zu in der Hoffnung, dass er begriff, was ich vorhatte.
    »Ich möchte dir danken«, sagte der Dunkle.
    Damit hatte ich nicht gerechnet. »Mir danken?«
    »Für das Geschenk, das du mir gemacht hast.«
    Mein Blick zuckte zu den Narben auf seiner bleichen Wange.
    »Nein«, sagte er mit leisem Lächeln, »die nicht. Aber sie halten die Erinnerung wach.«
    »Woran?«, fragte ich wider Willen, aber neugierig.
    Seine schiefergrauen Augen blieben ausdruckslos. »Daran, dass jeder Mann zum Narren gemacht werden kann. Nein, Alina. Du hast mir etwas viel Größeres geschenkt.«
    Er wandte sich ab. Ich sah noch einmal rasch zu Maljen.
    »Im Gegensatz zu dir«, sagte der Dunkle, »weiß ich, was Dankbarkeit ist, und ich will sie dir zeigen.«
    Er hob die Hände. Dunkelheit erfüllte das Zimmer.
    »Jetzt!«, schrie ich.
    Maljen rammte einen Ellbogen in Iwans Seite. Ich breitete im selben Moment meine Hände aus. Licht flammte auf und blendete die Grischa. Ich bündelte meine Macht zu einer Sichel aus gleißendem Licht. Für mich gab es nur ein Ziel: den Dunklen zu treffen. Ich spähte in die wogende Finsternis, um ihn zu finden. Aber irgendetwas war hier faul.
    Ich hatte oft erlebt, wie der Dunkle seine Macht eingesetzt hatte. Aber dies war anders. Die Schatten umsurrten und umschnurrten meine Kugel aus Licht. Sie kreisten immer schneller, verwoben sich zu einer wabernden Wolke, die schnarrte und summte wie ein Schwarm hungriger Insekten. Ich widersetzte mich ihr mit aller Kraft, aber sie wand sich, wich aus, kam immer näher.
    Maljen stand neben mir. Er hatte Iwan das Messer entwunden.
    »Bleib dicht bei mir«, sagte ich. Auf gut Glück ein Loch in den Fußboden zu brennen wäre besser, als die Hände in
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