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Grimes, Martha - Mordserfolg

Grimes, Martha - Mordserfolg

Titel: Grimes, Martha - Mordserfolg
Autoren: Martha Grimes
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sieht ihnen ähnlich, dachte er, das sieht ihm ähnlich, diesem Stapel von bereits beschriebenen Seiten, die meinen, sie hätten nichts anderes zu tun, als bloß entspannt dazuliegen. Und das nach all der Sorgfalt, nach all den Mühen…
    Von ihrer gusseisernen schwarzen Bank im Park aus beobachtete Nathalie die Zaunkönige, die über dem Springbrunnen umherschwirrten, und dachte: Man kann nie wissen, man kann gar nie wissen.
    Ned stand auf und ging zur Küchenanrichte hinüber, um sich eine Kanne Kaffee zu machen. Während er das Pulver abmaß und in den Filter gab, dachte er an Hemingway in der Brasserie Lipp am Boulevard Saint-Germain, der nicht weit vom Jardin du Luxembourg lag. Nathalie hielt sich öfter einmal auf dem Boulevard Saint-Germain auf. Er sollte seine respektlose Haltung gegenüber Nathalies misslicher Lage wirklich aufgeben. Er machte sich tatsächlich Sorgen um sie. Es würde alles böse enden. Das war unausweichlich. So gingen Affären immer aus. Darüber dachte er nach, während er den Wasserbehälter der Kaffeemaschine auffüllte.
    Nathalie blickte über den breiten Kiesweg zu den kleinen Metalltischen hinüber, an denen manchmal alte Männer saßen und Schach spielten, wo nun aber ein hoch gewachsener Mann saß und schrieb. Sie fragte sich, was er wohl schrieb, die Ellbogen auf dem Knie, den Kopf in die Hand gestützt, eine Pfeife im Mund. Einen Brief? Ein Buch?
    Ned starrte aus dem Fenster über der schmalen Küchenanrichte und nahm nur vage wahr, wie die Dämmerung anbrach und die prächtige Krone des Chrysler Building aufleuchtete. Zarte, dünne Schichten in Pinkrosa und Blau auf einem Fundament von schmelzflüssigem Gold. Diese Szenerie, den kleinen Park unter seinem Fenster, wandelte er in den Jardin des Plantes oder den Jardin du Luxembourg um (je nachdem, in welchem Nathalie gerade saß). Er erinnerte sich, wie er vor zwanzig Jahren dort gewesen war: wie die Farben in den Blumenrabatten langsam miteinander verschmolzen waren, wie sie sich mit dem Gras und den Gehwegen vermischt hatten. Vor sechzig Jahren waren Hemingway, Joyce und Gertrude Stein dort gewesen, mit deren Leben das von Nathalie niemals in Berührung kommen würde und doch von ihnen berührt wurde, als wäre die Luft, die sie atmete, von den Orten herübergeweht, an denen sich diese berühmten Schriftsteller aufgehalten hatten. Er sah Nathalie unten im Park auf einer der Bänke sitzen. Reglos wie eine Statue saß sie da und dachte nach. Auf der anderen Seite des Fußwegs erhob sich ein realer oder erfundener Mann von einer Bank.
    Patrics anderes Leben. Sie sprachen nicht darüber. Sie hatte Angst, etwas darüber zu erfahren, aber auch davor, nichts zu wissen. Das Nichtwissen klammerte diesen Teil seines Lebens aus. Wenn sie über sein anderes Leben Bescheid wüsste, würde sie es sich vorstellen können – seine Frau, seine Kinder und wie sie waren. Dann käme jene andere Seite seiner Welt zum Vorschein, die bis jetzt still im Dunkeln lag, es war wie bei einer von diesen Lampen, die man in manchen Kinderzimmern sieht, mit einem sich drehenden zylinderförmigen Schirm, auf dem Scherenschnittfiguren beleuchtet werden. Nun drehte sich der Zylinder nicht, und die andere Seite des Lampenschirms lag im Dunkeln.
    Es war natürlich viel mehr als sein halbes Leben, denn sie sah ihn bloß an den Donnerstagnachmittagen und manchmal auch dienstags. Einerseits war sie dankbar, denn ihre Treffen besaßen eine gewisse Regelmäßigkeit. Auf die Donnerstage konnte sie sich verlassen. Doch dann wiederum war es schwierig, nicht an das darauf folgende Wochenende zu denken. Sie sagte sich, dass es ja noch viel schlimmer sein könnte – ein ständiges Herumjonglieren mit Tagen und Zeiten, so dass sie die überschwängliche Freude an den ein oder gar zwei Tagen vor Patrics Ankunft im Park gar nicht genießen könnte – im Jardin des Plantes oder den Tuilerien oder dem Jardin du Luxembourg –, an Orten, wo sie einen Großteil ihrer Zeit verbrachte, auch wenn er nicht mit ihr zusammen war, denn an diesen Orten konnte sie sich vorstellen, er säße neben ihr oder ginge neben ihr her –
    Und die Cafés –
    Ned hörte auf zu schreiben. Die Cafés. Er nahm den Stift wieder zur Hand.
    Die meisten von denen, die sie gern hatten, lagen am Boulevard Saint-Germain (die Brasserie Lipp, das Café de Flore), aber manchmal, wenn sie in den Tuilerien gewesen waren, besuchten sie die Cafés am rechten Seineufer. Dann gingen sie die Rue de la Paix hinauf bis
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