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Grimes, Martha - Mordserfolg

Grimes, Martha - Mordserfolg

Titel: Grimes, Martha - Mordserfolg
Autoren: Martha Grimes
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immer zuerst mit einem Füllfederhalter, denn Tinte führte einem Schwachstellen direkt vor Augen, die ein Mauszeiger nur flüchtig anzeigte.
    Paris. Der Jardin des Plantes. Nathalie verbrachte fast die ganze Zeit entweder hier oder im Jardin du Luxembourg. Parks waren ihr am liebsten. Sie hatte eine Menge Zeit zur Verfügung, die sie hauptsächlich mit Warten zuzubringen schien. Ein Vogelschwarm erhob sich vom Springbrunnen in der Mitte des Jardin des Plantes, weggeweht von der morgendlichen Brise.
    Nathalie –
    Wie die auffliegenden Vögel erhoben sich Neds Gedanken aus dem Park und stoben überall hin, nur nicht in den Jardin des Plantes: zu Sally und dem akrobatischen Sprung, mit dem sie einmal seine weggewehte Manuskriptseite eingefangen hatte; zu Tom Kidd – was er wohl gerade machte? Ob er an seinem Schreibtisch saß, hinter seinem Bücherturm, und ein Manuskript redigierte?
    Er könnte in die Küche gehen – liebe Güte, sie lag schließlich bloß ein paar Schritte entfernt – und sich eine Tasse Kaffee machen. Nein. Den Kaffee konnte er machen, nachdem er sich überlegt hatte, was in diesem Augenblick mit Nathalie passierte, während sie in dem staubigen, etwas heruntergekommenen Park allein auf einer Bank saß. (Es gab dort einen kleinen, verwahrlosten Zoo, nichts besonders Interessantes, ein bloßer Abklatsch von einem Zoo. In dem war sie bisweilen herumgeschlendert.)
    Nein, keinen Kaffee. Die größeren Zeiteinheiten – was er vor dem Mittagessen oder bis zum Abendessen zu schreiben hatte – waren mit kleineren aufgepeppt, zum Beispiel in weiteren zwanzig Minuten oder nach der Szene im Jardin des Plantes . Nur so konnte er das tägliche Schreibpensum schaffen – indem er immer wieder einen kleinen Handel mit sich selbst abschloss. Dabei war es überraschend unerheblich, dass er am Ende des Buches und nicht am Anfang war. Was das Schreiben betraf, so war jeder Tag wie ein Anfang. Es war, als hätte er bis zu diesem Augenblick noch nie im Leben ein Wort geschrieben und wüsste nicht, wie zum Teufel er es anstellen sollte.
    Im Jardin des Plantes hob Nathalie –
    Sie konnte auch im Zoo herumspazieren, aber das schien nicht zu ihrer Stimmung zu passen. Stimmung? Nathalie war immer ein Opfer von Stimmung, Zeit und Ort. Ned begutachtete seine beiden Bleistifte, um zu prüfen, ob die Spitzen auch scharf waren. Die Bleistifte benutzte er für Änderungen und um über den Zeilen oder an den Seitenrändern Wörter einzufügen. War etwa nicht mehr genügend Tinte in seinem Füllfederhalter? Wie konnte das sein, er hatte doch kaum ein Dutzend Wörter geschrieben?
    Im Jardin des Plantes hob Nathalie das Gesicht  – nein – hob Nathalie ihr bleiches Gesicht zu den Vögeln hoch…
    Ja, der Satz gefiel ihm schon beim Schreiben. Er war zufrieden damit. Jedenfalls bevor ihm klar wurde, dass die Stelle von W.H. Auden stammte: »…bleiche, nicht eines Kindes Hände zu den Vögeln hoch gehoben.« Das Gedicht hatte er schon immer gemocht, diese Traurigkeit. »…von Händen über dem Tischtuch…« Solche Zeilen fuhren ihm jedes Mal wie Messer in die Därme. Audens Gedicht war nostalgiebeladen.
    Nathalie. Da gäbe es, da gäbe es  –
    Er stützte den Kopf in die Hände. Wie hatte er eigentlich seine beiden anderen Bücher geschrieben? Von diesem hier hatte er bereits vierhundertzwei Seiten fertig und befand sich immer noch in dem gleichen nervösen Schwebezustand wie damals, als er angefangen hatte. Wieso suchte sich jemand, der eigentlich ziemlich bei Trost war, gerade so eine Arbeit aus, wo es doch Hunderte von Leuten gab, die es viel besser konnten? Saul beispielsweise. Zwar gab es Tausende, die schlechter waren, aber das war kein Trost.
    Nathalie saß auf einer kleinen gusseisernen Bank im Jardin des Plantes. Falls es die dort überhaupt gab. Falls es im Jardin des Plantes gusseiserne Bänkchen gab. Ob dieses Detail wohl in einem Reiseführer stand? Er bezweifelte es. Da hatte er nun auf Teufel komm raus über Nathalie im Jardin des Plantes geschrieben, und nun war der Teufel da. Würde er jetzt etwa nach Paris fahren müssen? Er hasste Reisen.
    Er betrachtete die säuberlich aufeinander gestapelten Seiten, die ihn vorwurfsvoll musterten. Eine jede hatte stechende Augen, die ihn dabei beobachteten, wie er in diesem seinem Sumpf von mangelndem Talent und Unsicherheiten versank, und nicht eine Seite würde auch nur einen Finger krumm machen und ihm zu Hilfe kommen. Nicht eine.
    Nicht eine einzige Seite. Das
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