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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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verdiene nicht viel«, sagte er, »die Arbeit ist eintönig, Berichte über die Geburtszangen, und muß exakt ausgeführt werden. Der Chef, ein Vizebuchhalter, ist streng, auch habe ich Bruder Bibi mit seinen Kinderchen zu unterstützen, liebenswerte Menschen, vielleicht etwas wild und natürlich, doch ehrlich. Wir werden sparen und in zwanzig Jahren miteinander Griechenland besuchen. Den Peloponnes, die Inseln. Davon träume ich schon lange, und jetzt, da ich weiß, daß ich mit dir reisen werde, ist der Traum noch schöner.«
    Sie freute sich. »Das wird eine schöne Reise werden«, sagte sie.
    »Mit einem Dampfer.«
    »Mit der ›Julia‹.«
    Er sah sie fragend an.
    »Ein Luxusschiff, Missis und Mister Weeman fahren mit 28

    ihm.«
    »Natürlich«, erinnerte er sich, »das stand auch im ›Match‹.
    Doch die ›Julia‹ wird für uns zu teuer sein und in zwanzig Jahren schon verschrottet. Wir fahren mit einem Kohlenschiff.
    Das kommt billiger.«
    Oft denke er an Griechenland, fuhr er darauf fort und schaute dem Nebel zu, der sich anschickte, wiederzukommen und wie leichter, weißer Rauch über den Boden strich. Er sehe dann die alten Tempel deutlich, halbgeborsten, und die rötlichen Felsen, leuchtend durch die Olivenhaine. Oft komme es ihm vor, als sei er in dieser Stadt im Exil, wie die Juden in Babylon, und der Sinn seines Lebens bestehe darin, einmal zurückzukehren in die alte, längst verlassene Heimat.
    Nun lag der Nebel als weiße Riesenwattebüschel lauernd hinter den Bäumen an den Ufern des Stroms, langsam dahin-ziehende Lastschiffe umarmend, die brünstig aufheulten, stieg dann auf, flammte violett und begann, sobald die rote, große Sonne gesunken war, sich auszubreiten. Archilochos begleitete Chloé zum Boulevard, in welchem das Ehepaar Weeman wohnte, eine reiche, vornehme Gegend, wie er merkte. Sie gingen an Gittern vorbei, an großen Gärten mit alten Bäumen, hinter denen man die Villen kaum ahnte. Pappeln, Ulmen, Buchen, schwarze Tannen ragten in den silbernen Abendhim-mel, verschwanden in den dichter werdenden Nebelwolken.
    Vor einer eisernen Gittertüre mit Putten und Delphinen, seltsamen Blättern und Spiralen, mit zwei riesigen steinernen Sockeln blieb Chloé stehen, von einer roten Lampe über dem Portal beschienen.
    »Morgen abend?«
    »Chloé!«
    »Wirst du klingeln?« fragte sie und wies auf eine altertümliche Vorrichtung. »Um acht?«
    Dann küßte sie den Unterbuchhalter, legte beide Arme um seinen Hals, küßte ihn noch einmal, dann ein drittes Mal.

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    »Wir fahren nach Griechenland«, flüsterte sie, »in unsere alte Heimat. Schon bald. Und mit der ›Julia‹.«
    Sie öffnete die Gittertüre und verschwand unter den Bäumen und im Nebel, noch einmal zurückwinkend, irgend ein Wort zurufend, zärtlich, wie ein geheimnisvoller Vogel, irgendeinem Gebäude zugehend, das unsichtbar im Park vorhanden sein mußte.
    Archilochos dagegen marschierte in sein Arbeiterquartier zurück. Er hatte lange zu gehen: er trottete all den Wegen entlang, die er mit Chloé gegangen war. Er überdachte die Phasen dieses Märchensonntags, blieb vor der verlassenen Bank unter Daphnis und Chloé stehen, dann vor dem alkoholfreien Restaurant, das eben die letzten altneupresbyteranischen Jungfern verließen, von denen ihn eine grüßte, auch wohl an der nächsten Straßenecke auf ihn wartete. Dann ging er dem Krematorium, dem Landesmuseum, dem Quai entlang. Der Nebel war dicht, doch nicht schmutzig wie an den Tagen vorher, sondern zärtlich, milchig, ein Wundernebel wie ihm schien, mit langen goldenen Strahlenbündeln, mit feinen nadligen Sternen. Er erreichte das ›Ritz‹, und als er am pompö-
    sen Eingangsportal vorüberging, mit dem zwei Meter langen Portier im grünen Mantel, den roten Hosen und mit dem großen silbernen Stab, verließen eben Gilbert und Elizabeth Weeman das Hotel, die weltberühmten Archäologen, die er durch die Abbildungen in den Zeitungen kannte. Es waren zwei englische Menschen, auch sie mehr ein Mann denn eine Frau, mit dem gleichen Haarschnitt wie er, beide mit goldenen Zwickern versehen, Gilbert mit einem roten Schnurrbart und einer kurzen Pfeife (die einzigen Merkmale eigentlich, die ihn deutlich von seiner Frau unterschieden).
    Archilochos faßte Mut. »Madame, Monsieur«, sagte er: »Respekt.«
    »Well«, sagte der Forscher und staunte den Unterbuchhalter an, der in seinem zerschlissenen Konfirmandenanzug und mit 30

    seinen ausgetretenen Schuhen vor ihm stand, und den
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