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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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keuchte Archilochos.
    »Und?«
    »Nummer drei in meiner Weltordnung!«
    »Nun?«
    »Er grüßte mich!«
    »Hoffentlich.«
    »Ich bin doch nur ein Unterbuchhalter und arbeite mit fünfzig anderen Unterbuchhaltern in der nebensächlichsten Unterabtei-lung der Geburtszangenabteilung«, rief Archilochos aus.
    »Dann wird er eben ein sozialer Mensch sein«, stellte Chloé fest, »würdig, in deinem sittlichen Weltgebäude den dritten Platz einzunehmen«, über das Erstaunliche dieser Begegnung offenbar noch nicht im Bilde.
    Doch die Wunder dieses Sonntags, der mitten im Winter immer strahlender, immer wärmer wurde, mit einem immer blaueren, immer unwirklicheren Himmel, hörten nicht auf: die ganze Riesenstadt schien auf einmal Archilochos zu grüßen, der mit seiner Griechin über die Brücken mit den schmiedeei-sernen Geländern und durch die alten Parkanlagen vor den halbzerfallenen Schlössern schritt. Arnolph wurde stolzer, bewußter, sein Gang freier, seine Miene leuchtender. Er war mehr als ein Unterbuchhalter. Er war ein glücklicher Mensch.
    Elegante junge Männer grüßten ihn, winkten aus Cafés, von Autobussen und Vespas herunter, soignierte Herren mit ergrauten Schläfen, sogar ein belgischer General, mit vielen Orden, vom Nato-Hauptquartier offenbar, der aus einem Jeep stieg.
    Vor der amerikanischen Botschaft rief ihm der Botschafter Bob Forster-Monroe, begleitet von zwei schottischen Schäferhun-den, ein deutliches Hallo zu; während Nummer zwei (Bischof Moser, noch wohlgenährter als auf dem Bilde bei Madame Bieler) ihnen zwischen dem Landesmuseum und dem Krematorium auf dem Weg zum alkoholfreien Restaurant gegenüber dem Weltgesundheitsamt begegnete. Auch Bischof Moser 26

    grüßte – das war irgendwie nun schon in der Ordnung –, der Archilochos doch nur von einer Osterpredigt her kannte, bei weitem nicht persönlich, nur als Zuhörer inmitten einer Schar psalmensingender Weiblein, der Bischof, von dessen Leben Archilochos jedoch wohl hundertmal in der Broschüre gelesen hatte, die über diesen vorbildlichen Gegenstand in der Gemeinde verbreitet wurde. Doch schien der Bischof noch verwirrter als das gegrüßte Glied der altneupresbyteranischen Kirche, der er vorstand, denn er verschwand auffallend hastig und überstürzt in einer sinnlosen Nebengasse.

    Dann aßen sie zusammen im alkoholfreien Restaurant. Sie saßen an einem Fensterplatz und sahen über den Strom zum Weltgesundheitsamt hinüber mit dem Denkmal eines berühmten Weltgesundheitsämtlers davor, auf dem Möven lagerten, von dem aus sie aufstiegen, um das sie kreisten, und auf dem sie sich wieder lagerten. Beide waren müde vom langen Spa-zieren und hielten sich die Hände, auch als die Suppe schon vor ihnen stand. Das Restaurant war in der Hauptsache mit Altneu-presbyteranern besetzt (nur wenige Altpresbyteraner darunter), mit alten Jungfern meistens und verschrobenen Junggesellen, die der Alkoholbekämpfung zuliebe hierher an den Sonntagen essen kamen, wenn auch der Wirt, ein verstockter Katholik, sich hartnäckig weigerte, Bischof Mosers Bild aufzuhängen; im Gegenteil, neben dem Staatspräsidenten hing der Erzbischof.

    5

    Später saßen sie, zwei Griechen unter zwei Griechen, immer enger aneinandergerückt unter einem vermoderten Standbild im alten Stadtpark, das nach den Reiseführern und Stadtplänen Daphnis und Chloé darstellen sollte. Sie sahen zu, wie die 27

    Sonne hinter den Bäumen versank, ein roter Kinderballon.
    Auch hier wurde Archilochos gegrüßt. Sonst nur von Radsportfreunden und Unterbuchhaltern beachtet, schien der unscheinbare Mann (bleich, bebrillt, etwas dicklich) auf einmal die Stadt zu interessieren, Mittelpunkt der Gesellschaft zu sein.
    Das Märchen nahm seinen Fortgang. Nummer vier zog vorbei (Passap), von einer Schar teils bestürzter, teils begeisterter Kunstkritiker begleitet, hatte der Meister doch seine rechtwink-lige Epoche mit den Kreisen und den Hyperbeln eben verlassen und malte von jetzt ab nur noch Winkel von 60° mit Ellipsen und Parabeln, und an Stelle von Rot und Grün Kobaltblau und Ocker. Der Meister der modernen Malerei blieb verwundert stehen, knurrte, musterte Archilochos eingehend, nickte und wandelte davon, weiterdozierend. Dagegen grüßten die ehema-ligen Nummern sechs und sieben (jetzt neun und zehn), Maître Dutour und der Rector magnificus, mit einem Zwinkern, nur ganz unmerklich, waren sie doch an der Seite gewaltiger Gattinnen.
    Archilochos erzählte von seinem Leben. »Ich
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