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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Höhlen erschienen den Menschen in der Perm-zeit als ein vorübergehendes notwendiges Exil; denn sie konnten doch nicht voraussehen, daß die ja erst vereinzelt auftreten-den Saurier, vor denen sie in die Höhlen wichen, den Fortbe-stand der Menschheit in Frage stellen mußten, sie sahen in ihnen kaum mehr als ein launisches und etwas gefährliches Spiel der Natur. Der Lias belehrt uns eines andern. Wir mußten die Hoffnung, wieder auf die Bäume zu klettern, endgültig fallenlassen, nur utopische Kreise wie die Alt-Konservativen benützten sie noch zu einer weltfremden Propaganda für ihre Partei. Die Saurier waren uns Menschen hundertfach an Größe und tausendfach an Zahl überlegen. Sie bildeten immer neue, schrecklichere und phantastischere Formen aus. Sie verpesteten die Luft, zerstampften die Erde, verunreinigten das Wasser.
    Ihre stets länger werdenden Hälse machten immer tiefere und kompliziertere Höhlen notwendig. Aber nicht nur die Saurier bedrohten uns im Lias. Zu den Schrecken der Tierwelt gesellte sich der Schrecken der Natur. Die Erde selbst veränderte sich.
    Nicht umsonst hatte sie die ungeheuerlichen Tiere hervorge-150

    bracht. Die Alpen schoben sich krachend empor, begleitet von Erdbeben. Die Menschheit fühlte in ihren Höhlen die Berge über sich wanken und wagte dennoch nicht, die schützende Finsternis zu verlassen.
    In dieser Zeit stellten sich die Zeitungen voll und ganz dem Menschengeschlecht zur Verfügung. Es ging jetzt nicht mehr darum, den Fortschritt zu gewährleisten; es ging jetzt darum, das nackte Leben zu retten.
    Der Lias ist die große, heroische Zeit der Steinzeitzeitung.
    Immer häufiger rollten die Extrablätter und Sondernummern ins Tal, oder sie wurden in den langen Winternächten von den Redaktoren an schlafenden Sauriern vorbei über einen ständig wankenden Boden in die Höhlen ihrer Mitmenschen gewälzt.
    Es wurden Nachrichten über die Standorte der Saurierherden verbreitet, Abbildungen und Beschreibungen neuer Formen bekannt gemacht, Prognosen über die demnächst zu erwarten-den Erdbeben gestellt. Dazu kamen Schlachtberichte von Kämpfen zwischen einzelnen Sauriern und einzelnen Men-schensippen sowie ausführliche Kritiken dieser Schlachten. So war in jener Zeit des Schreckens die Zeitung oft die einzige Fackel der Freiheit.
    Erst die mit überschwenglichen Hoffnungen stürmisch be-grüßte Kreidezeit brachte die entscheidende Wendung. Die Saurier verließen die Gestade des immer mehr eintrocknenden Jurameers, und die Alpen waren endlich, wenn auch mit einigen Jahrtausenden Verspätung, aufgerichtet. Damit jedoch trat der ›Liassische Beobachter‹ seine letzte, leider vergebliche Mission an.
    Es ist nicht zu bestreuen, daß die Kreidezeit eine der glück-lichsten Epochen der menschlichen Geschichte gewesen ist, obschon ich glaube, daß sie an Größe und Bedeutung bei weitem nicht an jene des Lias herankommt. Die Menschen bewegten sich wieder frei und ungeschützt auf der Erde, obgleich sie die Höhlen aus Tradition nicht aufgaben. Die 151

    Künste blühten. Das Kochen wurde entdeckt. Die strengen Formen der Liasmalerei wichen den impressionistischen der Kreidekultur. Die strengen und genügsamen Sitten der Saurier-zeit, die nur auf eine rücksichtslose Erhaltung der Menschheit abzielten, milderten sich, und Spiel und Tanz waren beliebt, besonders nach der Erfindung des Händeklatschens.
    Wie sehr wir nun auch am ›Liassischen Beobachter‹ diese Dinge bejahen mochten, so entging uns doch nicht, daß ein schwächeres Weltalter angebrochen war, das mit der Zeit eine viel größere Gefahr werden mußte als die Saurier. Wir wurden von einer ständig zunehmenden Sorge erfüllt. Der Charakter der altbewährten Zeitung änderte sich, sie wurde konservativ.
    Vor allem war es die Entdeckung der Kreide und ihrer Ver-wendung in der Schreibkunst, die unsere Besorgnis steigerte.
    Immer mehr Zeitungen wurden mit Kreide geschrieben und wandten sich so den vergänglichen Tagesneuigkeiten zu. Die Vielschreiberei bemächtigte sich der Menschheit. Der reine, lakonische Stil der Liassischen Klassik wurde vergessen. Es zeigte sich deutlich, daß mit der verschwundenen Gefahr auch die Kraft des Menschen erloschen war.
    Der ›Liassische Beobachter‹ verlor seinen Kampf. Er ging am Ende des Mesozoikums ein. Es ist dies das schmerzliche Erlebnis meines Alters. Jene dunkle Neujahrsnacht im Jahre Million vor Christi Geburt, in der das Känozoikum begann, ist mir noch gut in der
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