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Grenzgänger

Grenzgänger

Titel: Grenzgänger
Autoren: Nina Behrmann
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zurückzuhalten.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Erklär mir einfach, was das hier soll«, antwortete ich ruhiger.
    Feng sah zur Seite, raus auf die Menge, die sich im Rhythmus der Musik bewegte. Er seufzte. »Das ist vielleicht nicht gerade der beste Zeitpunkt, dich einzuweihen. Aber anscheinend ist es wichtig, wenn deine Mutter darauf besteht, nachdem sie dich dreißig Jahre derart behütet hat.«
    »Neunundzwanzig«, murmelte ich.
    »Wie bitte?«
    »Ich bin neunundzwanzig.«
    »Entschuldige.« Feng seufzte abermals. »Du befindest dich gerade in einer heiklen Zeit. Es herrscht Frieden, aber noch nicht sehr lange.«
    »Was für ein Frieden?«
    »Zwischen den Fey und den Grenzgängern.«
    »Den was?« Ich beugte mich vor. »Sind das irgendwelche Sekten oder Gangs?«
    »Nein, eher das, was du als Fabelwesen kennst.«
    Mein Blick wirkte wohl skeptisch genug, denn Feng wand sich darunter.
    »Wie gut kennst du dich in Mythologie aus? Elfen, Feen, Vampire, Werwölfe?«
    »Das, was ich so durch Bram Stokers Dracula erfahren habe und vielleicht noch…«, ich stockte. Das war wirklich zu albern. »Willst du mir erzählen, dass du ernstlich glaubst, da draußen führen irgendwelche Vampire und Werwölfe Krieg?«
    »Eigentlich waren die beiden früher auf der derselben Seite und Krieg wird schon länger nicht mehr geführt, aber im Prinzip, ja.«
    Ich stand auf. Das war zu viel des Guten.
    »Feline!«
    »Schönen Dank auch, Feng, aber nach reiflicher Überlegung bin ich der Meinung, dass ich auf die angebotene Stelle verzichten kann«, zischte ich.
    Ich war schon auf dem Weg zur Tür, als die Welt sich plötzlich verschob. Es war als würde ein Erdbeben in meinem Innern stattfinden und ich wankte. Meine Hand stützte sich an der Tür ab, damit ich nicht fiel und ich schloss die Augen, um mich auf einen festen Punkt zu konzentrieren. Ich hätte schreien sollen oder mich flach auf den Boden werfen. Was man im Falle eines Erdbebens tat, wusste ich nur aus dem Fernsehen. In Deutschland gehört das nicht zum Schulunterricht.
    Langsam ebbte das Beben ab und ich richtete mich wieder auf.
    »Feng, alles in…?« Als ich mich umdrehte, blieb mir die Frage im Hals stecken. Dort, wo Feng gestanden hatte, schlängelte sich… nun ja… ein Etwas.
    Ich schluckte und blinzelte. Das Bild veränderte sich nicht. Vor mir stand ein Drache mit glänzenden gelben Schuppen. Ich hatte diese Abbildung schon gesehen. Die stilisierte Form hatte ich sprichwörtlich mit Füßen getreten – auf dem Teppich, der im Triskelion Büro auslag.
    Ein chinesischer Drache, dessen Körper sich so anmutig bewegte, als befände er sich unter Wasser oder in der Luft. Die langen fühlerähnlichen Fortsätze an seinem Maul bewegten sich leicht und auch der Haarkamm auf seinem Rücken schwankte wie Seegras.
    Der langgezogene Körper füllte fast das gesamte Büro aus und schimmerte im stumpfen Licht der Deckenlampe. Es klickte als er mit seinen Krallen über den Metallboden auf mich zukam. Ich wich zur Tür zurück.
    »Geh zum Fenster«, sagte er. Die Stimme dröhnte mir in den Ohren und ohne mein Zutun bewegten sich meine Füße zur Panoramascheibe. Ich atmete erschrocken ein, als ich das Bild der Halle unter mir sah.
    Nicht nur das Büro hatte sich verändert, auch die Tanzenden waren kaum wieder zu erkennen. Ich sah Fell, Zähne, Schuppen. Noch immer tanzten diese Gestalten, als wäre nichts geschehen. Vielleicht war es das auch nicht. Vielleicht wurde ich einfach verrückt?
    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich den Entenmann. Seine Haut war nicht mehr grau, sondern grün, und seine Lippen hatten sich zu einem authentischen Schnabel verzogen.
    Ich wandte mich abrupt um, nur um den großen Drachenkopf vor mir zu sehen. Die goldenen Augen waren so groß wie Äpfel.
    »Wirst du mir endlich zuhören?«
    Ich knirschte mit den Zähnen, aber Feng schien das zu überhören. Ich schwankte. In diesem Augenblick schossen mir soviele Gedanken durch den Kopf, dass ich kaum wusste, was ich von alldem halten sollte. Etwas in mir wollte einfach nur schreien, zur Tür rennen und diese Disco, diese Agentur, diese gesamte Sache einfach hinter sich lassen. Der Rest von mir hatte das Gefühl, sich nie wieder von diesem Platz rühren zu können. Nicht aus Angst. Vielmehr aus schierer Ehrfurcht und Verwunderung.
    Vor mir stand tatsächlich ein Drache, eines der Wesen, das in den Geschichten meiner Mutter vorkam – aber niemals in einer kleinen Discothek am Freitagabend. Ich schluckte
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