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Grenzgänger

Grenzgänger

Titel: Grenzgänger
Autoren: Nina Behrmann
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Gefäß?«
    Samhiel sah mich nicht an. Ich schluckte hart.
    »Das ist sie«, antwortete Samhiel flach.
    Uriel löste sich aus der Gruppe der fünf Engel und kam auf mich zu. Auf seinem Weg passierte er glühenden Punkte im Schatten des Raumes, wo der Dämon immer noch lag. Er fauchte, aber Uriel hob nur den Arm und das Fauchen verstummte. Er bot mir seine Hand an und ich ließ mir aufhelfen. Statt jedoch meine Hand loszulassen, hielt Uriel sie fest.
    »Gib es mir zurück«, sagte er sanft.
    Ich runzelte die Stirn und suchte an Uriels Körper vorbei nach Samhiels Blick. Der vermied es weiterhin, mich anzusehen.
    »Was passiert mit Samhiel, wenn ich es euch zurückgebe?«, fragte ich den Engel vor mir.
    Er drückte meine Hand sanft. »Er hat gegen unsere Gesetze verstoßen. Also wird er mit dem Gefallenen zur Hölle geschickt.«
    Ich hörte wieder das krächzende Fauchen und schauderte. Was dort in der Ecke hockte, war etwas, was ich nicht verstand. Engel durften sich einen Körper schaffen, aber dieses Ding hatte einen Vampir über Jahre hinweg besessen. Ich verstand seinen Antrieb nicht. Nicht, weil ich zu dumm war, sondern weil ich zu jung, zu menschlich war. Das Etwas dort hatte eine Ewigkeit Zeit gehabt, an einem Plan zu arbeiten, wie es wieder in den Himmel zurückkonnte. Und Samhiel hatte genau diesen Himmel freiwillig aufgegeben, damit er etwas in dieser Welt verändern konnte. Er hatte sich vom Himmel abgewandt – und er hatte die Engel verraten, damit mir nichts geschah.
    Auf ihre Art waren die himmlichen Boten keinen Deut besser als das Wesen, das auf dem kalten klammen Boden kauerte. Samhiel hatte sie verraten, weil er das erkannt hatte. Sie wussten nichts von Liebe oder Hass, oder gar Mitgefühl. Alles was sie kannten waren Gesetze und Regeln.
    Sie konnten das Wort ebenso wenig bekommen, wie der Dämon. Ich begriff und sah wieder auf. »Nein«
    Uriel wirkte überrascht. »Es liegt nicht in deiner Befugnis, das zu entscheiden. Du bist nur…«
    »Nur ein Mensch?« Ich schüttelte den Kopf. »Im Augenblick bin ich wohl alles, was man nur sein kann. Verdammt angepisst ist nur ein Aspekt davon.«
    »Verdammt angepisst« schien im Himmel kein alltäglicher Ausspruch zu sein. Uriel sah aus, als hätte ich ihn angespuckt. Vielleicht hätte ich das tun sollen.
    »Nehmt ihn wieder mit euch. Verändert etwas. Dann überlege ich es mir vielleicht«, schob ich noch eine Forderung nach. Zu meiner Befriedigung sah ich, wie die gleichmütige Miene des Engels in Wanken geriet. »Du hast kein Recht, derartige Forderungen zu stellen. Es ist deine Pflicht, uns das Wort zurückzugeben!«
    Ich wischte mir ein wenig getrocknetes Blut aus dem Mundwinkel. »Wenn ich im Religionsunterricht nicht gepennt habe, ist das nicht meine Pflicht. Ich bin euch Federvieh zu überhaupt nichts verpflichtet«, erwiderte ich und ging an Uriel vorbei, direkt auf Samhiel zu.
    »Also?« Ich sah die übrigen drei Engel an, die nun ebenso verwirrt wirkten wie Uriel selbst. Irgendetwas lief hier schief – aber sie wussten nicht was.
    Ich nutzte diesen Zustand und trat näher an Samhiel heran. »Samhiel, du musst mir helfen«, sagte ich leise. Ich hatte mir selbst gesagt, dass ich bis zum Äussersten gehen würde, um dieses Wort nicht in die falschen Hände gelangen zu lassen. Jetzt war es wohl an der Zeit, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen.
    Endlich sah er mich an. Zu meiner Überraschung grinste er. »Ich finde, du machst das sehr gut. Auch wenn es keinen Sinn mehr machen wird.«
    »Denkst du?« Ich flüsterte nur noch.
    Er wurde ernster und nickte. »Kein Engel, der verbannt wird, darf zurückkehren.«
    Ich lächelte schief. »Jetzt hast du nicht einmal Sex dafür gebraucht.«
    Samhiel lachte.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Uriel sich wieder zu den anderen gesellte. Sie sprachen nicht miteinander, schienen aber in irgendeiner Weise miteinander zu kommunizieren. Ich sah, wie immer wieder Blicke untereinander getauscht wurden.
    Sanft zog ich Samhiel zur Seite. »Wenn sie wirklich nicht einwilligen… musst du mir helfen«, wiederholte ich.
    Samhiel musterte mich. Und verzog das Gesicht, als er verstand, was ich von ihm wollte. »Nein!«
    »Wenn du sowieso zur Hölle fährst…« Es war herzlos, das zu sagen, aber eine andere Möglichkeit sah ich nicht mehr.
    »Du weißt nicht, ob es funktioniert!«, protestierte er.
    »Aber die Chance ist da!«, gab ich zurück.
    Samhiel runzelte die Stirn. »Ja«, gab er schließlich widerwillig zu.
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