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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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Mutter ihn schon als kleinen Bub bei den Gaufesten hat mitmarschieren lassen, wurde auch er im Alter von 21 Jahren an die Vereinsspitze gewählt.
    Heute fährt Sepp eigentlich nur wegen der Schwuhplattler regelmäßig nach München. Und außerdem wohnt da sein Freund Manfred, seit neun Jahren die große Liebe.
    „Er ist das beste, was mir passieren konnte“, sagt Sepp. Gerne würde Manfred zu ihm aufs Land ziehen, wenn er hier nur einen Job fände. Am Klingelschild des Hauses steht schon mal sein Name, doch bisher wohnt er dort nur an Wochenenden. Groß genug ist das Haus ja, denn als es der Sepp gebaut hat, dachte er noch daran, einmal eine Frau zu heiraten und Kinder aufzuziehen. Ganz so, wie es sich auf dem Land eben gehört.
    Dass daraus nichts wird, ist ihm erst relativ spät klar geworden.
    „Es gab da ein Schlüsselerlebnis im Schwimmbad, wo mich ein Typ angebaggert hat. Er sprach mich an, ich reagierte abwehrend. Er sagte: ,Aber du bist doch schwul!’ Ich stritt das natürlich ab. Trotzdem wusste er, was mit mir los war. Später kam er in der Umkleidekabine noch mal auf mich zu und sagte: ‘Ich geb dir einen Rat. Mach’s nicht wie ich. Ich hab geheiratet, das war ein Fehler.’„
    Das war die unfreiwillige Initialzündung zu Sepps Coming-out. Drei Jahre lang eine Hölle aus lauter Selbstzweifeln. Es kam ihm der Gedanke, sich was anzutun. „Dabei hatte ich bis dahin ein schönes Leben. Wandern, Bergsteigen, die Natur, das Platteln. Ich dachte mir: Wenn du jetzt Schluss machst, kannst du das auch nicht mehr.“
    Dann nahm er sich vor, seine Sexualität einfach nicht zu leben. Wie im Zölibat. Funktioniert hat das nicht.
    „Mir ging es damit immer schlechter. Ich habe dann gemerkt: Diesen Kampf verliere ich. Das war meine schlimmste Zeit, bis ich alles verdaut hab. Mit den Schwulen, die ich aus dem Fernsehen kannte, konnte ich nichts anfangen, das waren so ausgeflippte Personen. So wollte ich nie sein. Ich lernte andere Schwule vom Land kennen, die ganz normal waren. Und irgendwann im Lauf der Zeit ist mir klar geworden: Der Herrgott hat mich so erschaffen. Er hat mich so gewollt, wie ich bin, und dann wird das schon seinen Sinn haben.“
    In den achtziger Jahren geschah es, dass Sepp im Trachtenverein mit der Wahrheit rausrückte – freilich ohne die Formulierung „schwul“ zu benutzen.
    „I bin mit nem Mann zusammen“, drückte er sich vorsichtig aus.
    Die Kollegen erschraken. Sekundenlang sagte keiner ein Sterbenswörtchen, bis schließlich ein älterer Bauer beherzt das Schweigen brach: „Was mich betrifft, finde ich, dass der Sepp seine Arbeit als Vorstand bisher gut gemacht hat. Es ist mir wurscht, was er im Bett macht.“
    Und wie das gruppendynamisch so ist: Die anderen wollten nicht hintanstehen und fanden, dass sie das eigentlich genauso sehen.
    Tage später bekam Sepp Besuch von zwei früheren Klassenkameraden, die ihm immer nahe gestanden hatten. Sie wollten ihm versichern, dass sie auch jetzt noch zu ihm stehen. Eine schöne Geste. Eigentlich.
    Aber dann kam doch alles ganz anders.
    „Diese zwei sind heute meine größten Gegner“, sagt Sepp, macht eine Pause und presst enttäuscht seine Lippen zusammen.
    „Von meinem früheren Freundeskreis im Dorf ist fast niemand übrig geblieben. So schaut’s aus.“
    Zunächst hatte es nach seinem Bekenntnis ja gar nicht so schlecht ausgesehen. Da er dem Aussehen nach nicht aus der Reihe fällt und sogar maskuliner wirkt als manch andere Bursche im Verein, wollten die anderen Trachtler für ihn ausdrücklich ein Auge zudrücken, ihm sein Schwulsein großzügig nachsehen – jedoch nur, solange er kein Aufhebens drum machte.
    Schluss mit der Toleranz war allerdings schon, als er es eines Tages wagte, einen Liebhaber in die Kneipe mitzubringen. Dabei verhielten sich die beiden Männer keineswegs eindeutig. Allein das Wissen darum, dass sie es in Sepps Wohnung miteinander treiben könnten, reichte aus, um wüste Phantasien anzuregen und Unruhe aufkommen zu lassen.
    „Da entstand eine so komische Atmosphäre“, erinnert er sich und schüttelt dabei verständnislos den Kopf.
    Keine Frage, von nun an wurde im Dorf viel über ihn geredet. Nachbarn gingen zur Gemeinde, um mit geheuchelter Besorgnis anzufragen, ob sich Sepps Besucher nicht vorher anzumelden habe, schließlich bliebe der doch über Nacht.
    Doch Sepp ließ sich nicht einschüchtern. Nachdem das Coming-out endlich durchgestanden war, wollte er darum kämpfen, sein Liebesleben nicht
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