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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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erschüttert. Die neuen Eigentümer meinten es gut, doch die alten Stammgäste, das heißt, diejenigen von ihnen, die Fassbinder, Mercury und Valentin überlebt haben, treffen sich nun lieber im neuen Lokal bei Franz, der zuletzt auch den alten Laden geschmissen hatte.
    In diesem Moment sitzt dort auch die einst durch ihre Rolle als kreischende und trällernde Mutter in Klimbim zu Ruhm gekommene TV-Ulknudel Elisabeth Volkmann an einem Tisch in der Ecke. Bei einigen Schwuhplattlern erregt sie Aufmerksamkeit – und zwar nicht nur wegen ihrer getigerten Stöckelschuhe.
    „Die sieht ja keinen Tag älter aus als vor dreißig Jahren“, wundert sich einer von ihnen und wischt sich den Weißbierschaum vom Mund.
    „Da schau her, was die kosmetische Chirurgie heutzutage alles zustande kriegt“, fügt ein anderer maliziös hinzu.
    Wer prominent ist, wird automatisch zum Opfer von Klatsch und Tratsch.
    Dabei zählt die weltweit bislang einzige schwule Schuhplattlergruppe inzwischen selbst zur Münchner Prominenz, auch wenn sich noch manch einer aus Angst vor einem Outing auf keinen Fall von einer Kamera filmen lassen will.
    Ja, doch, die Schwuhplattler sind in der bayrischen Hauptstadt ein Begriff. Was heißt hier: in der Hauptstadt? In ganz Bayern! Auf dem Diskussionsforum des Trachtenverbands im Internet hat ein Kollege mal in bitterem Unterton festgestellt: „Ihr seid ja wohl die berühmteste Plattlergruppe im ganzen Land!“
    Auch im Münchner Fremdenverkehrsamt heißt es, dass keine andere Trachtengruppe so bekannt sei. Und so kann sich der Vorstand der Truppe über einen Mangel an Anfragen nicht beklagen; für den baldigen Auftritt auf dem Fest im Glockenbachviertel sucht er an diesem Abend noch Freiwillige. Und schließlich berichtet er, dass vor ein paar Tagen eine Einladung aus Wien im Briefkasten lag.
    Für mediales Aufsehen hat einst der Besuch bei einer bayrischen SPD-Bundestagsabgeordneten in Berlin gesorgt, bei dem die Männer ganz spontan in der Kuppel des Berliner Reichstags einen Plattler aufs Parkett legten.
    „Als wir 1997 die Gruppe gründeten, hätten wir nicht gedacht, dass wir jemals so viel Resonanz ernten würden“, sagt Manfred, der damals noch keine Ahnung vom Platteln hatte. „Es gibt so viele Plattlergruppen, die um einiges besser sind“, gibt er freimütig zu. „Wir sind vor allem deshalb gefragt, weil wir schwul sind. Weil Homosexualität halt immer noch exotisch ist. Je normaler Schwulsem wäre, desto weniger würden wir angefragt werden.“
    Freilich spielt bei dem Erfolg der Schwuhplattler auch noch etwas anderes eine Rolle: der Bruch des Klischees durch die offene Homosexualität der Akteure. Dies gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, das ansonsten vielleicht eher skeptisch beäugte Brauchtum durch eine andere Brille zu sehen. Nur so kann man sich erklären, dass die Schwuhplattler auch zu Veranstaltungen des links-alternativen Spektrums eingeladen werden, auf denen ansonsten Multikulti und nicht bajuwarische Tradition angesagt ist. Plötzlich kann man sich auch in dieser Szene mit deutscher Ethno-Kultur anfreunden, mit der man bislang eine ungeliebte Ideologie verbunden hat. Brauchtum, Heterosexualität und CSU – all das bildet keine untrennbare Einheit mehr. Nur wer das nicht wahrhaben will, muss das als Provokation empfinden.
    Aus demselben Grund sind die Schwuhplattler inzwischen auch innerhalb der schwul-lesbischen Szene so beliebt. Noch zu Beginn der neunziger Jahre hätte man dort die Widersprüche nicht so gelassen hingenommen und die Plattler bei einem ihrer Auftritte mit Eiern beworfen. Weil man ihnen durch ihren Hang zum Brauchtum automatisch unterstellt hätte, politisch rückwärtsgewandt zu sein.
    Auch von einem Thyssen-Krupp-Boss wurden die Schwuhplattler mal auf einer privaten Gala im bayrischen Oberland angeheuert. Ihr Schwulsein spielte dabei offenbar gar keine Rolle. Dem Global Manager ging es allein darum, seinen internationalen Gästen echt bayrisches Brauchtum vorzuführen und gleichzeitig zu vermeiden, dass die von weit hergereisten Ausländer von den Einheimischen komisch angeschaut und als Exoten belächelt werden. Die Homo-Plattler hat er ausgesucht, weil er sich mit ihnen auf der sicheren Seite wähnte und annahm, dass sie aufgrund der Erfahrungen, die sie als Vertreter einer Minderheit gesammelt haben, über mehr Anstand und Sensibilität verfügen würden, zumal im Umgang mit Angehörigen fremder Kulturen.
    So überbrücken die Schwuhplattler mehr als
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