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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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Jahrzehnten ein Liebespaar. Gemalt hat sie Bobby Brederlow, der in diesem Männerhaushalt der dritte im Bunde ist. Er ist der Bruder von dem mit der Glatze.
    Bobby hat das Down-Syndrom, dessen offizielle Bezeichnung Trisomie 21 lautet. Das ist eine Störung der Erbgutinformation. Vor einigen Jahren hat man Menschen mit dieser Behinderung noch „Mongoloide“ genannt; inzwischen ist der Begriff in den meisten Ländern aus dem Wortschatz gestrichen worden. Trotz des geistigen Handicaps ist Bobby karrieremäßig ganz schön weit gekommen in seinem Leben, weiter als die allermeisten Menschen, ob mit oder ohne Down-Syndrom. Inzwischen hat er nicht nur als Maler Erfolg, sondern auch als Filmstar, der bereits an der Seite von Senta Berger, Friedrich von Thun und Veronika Ferres spielte. Liebe und andere Katastrophen hieß die TV-Serie im Hauptabendprogramm der ARD, die ihn in ganz Deutschland bekannt gemacht hat; später folgte der Film Bobby, in dem er sich selbst spielte. Er ist stolzer Preisträger des Bambis und der Goldenen Kamera, denen er in seinem Zimmer einen Ehrenplatz eingeräumt hat, gleich neben dem Fernseher.
    Als ich die beiden Trophäen bewundernd in die Hand nehme, gerät er außer sich vor Freude. Bobby, der Superstar. Diese Rolle gefällt ihm am besten von allen.
    Einen steilen Aufstieg hat er da in den letzten Jahren hingelegt, keine Frage. Bei aller Begabung hatten jedoch Udo und Gerd einen nicht gerade unwesentlichen Anteil daran. Sie kümmerten sich um Bobby und förderten ihn, holten ihn immer wieder aus seiner Lebenshilfewerkstatt, wo er anfangs tagein, tagaus Löcher stanzte, ließen ihn öfter mal was Neues ausprobieren, auch wenn sie dabei so manches Mal beten mussten, dass ja nichts schief läuft.
    Fünfzehn Jahre ist es nun her, dass sie ihn zu sich nach München holten, nachdem die Mutter im Pfälzischen verstorben war. Einen jahrelangen Sorgerechtsstreit mit dem dritten Brederlow-Bruder hatten sie gerade hinter sich. Immerhin: Der Dauerstress mit den Anwälten hatte ein bemerkenswertes Gerichtsurteil zur Folge. Eine gleichgeschlechtliche Beziehung, die seit 16 Jahren bestehe, wiege mehr als eine einjährige Ehe zwischen Mann und Frau, befanden damals die Richter. Ein ungewöhnliches Urteil zu einer Zeit, als die Homo-Ehe noch lange nicht in Sicht war, vor allem wenn man bedenkt, dass sich Politiker aus allen Parteien auch heute noch schwer damit tun, Schwulen und Lesben die Adoption von Kindern zuzugestehen.
    „Als wir uns dazu entschlossen hatten, für Bobby die Behördenkämpfe auf uns zu nehmen, unterstützten uns unsere schwulen Bekannten und boten sofort ihre Hilfe an. Mit ihnen kommt Bobby gut klar, er mag sie, sie mögen ihn. Die meisten können mit seiner Behinderung gut umgehen, weil man als Schwuler ja selbst außerhalb der Norm steht. Allerdings“, – er schielt mit einem strengen Blick, der nicht ganz ernst gemeint ist, zu seinem Bruder – „ist er in ihrer Gegenwart immer so betont heterosexuell. Stimmt’s, Bobby?“
    „Ich bin hetero! Ich bin hetero!“ ruft Bobby und lacht.
    „Er macht sich über uns Schwule immer lustig, wedelt tuntig mit dem Handgelenk und sagt: ‚Schwule sind immer so heiteitei.’ Nachdem ich meinen Schlaganfall hatte, nannte er mich Schlaganfallschwuchtel.“
    „Heiteitei“, sagt Bobby fröhlich und wedelt mit dem Handgelenk.
    Schlaganfallschwuchtel ist ein herbes Wort. Mongobaby allerdings auch. So wird Bobby wiederum von Udo und Gerd ab und zu genannt. Das ist der normale Umgangston im Hause, aber auch wenn sich das hart anhören mag, ist es doch herzlich gemeint.
    „Wir wollen damit Bobbys Selbstbewusstsein stärken, damit er sich im Alltag wehren kann. Es passiert oft genug, dass ihn jemand wegen seiner Behinderung anstarrt oder blöd anredet, und er registriert das alles sehr genau und ist dann verletzt.“
    Als Bobby damals nach München kam, mussten Udo und Gerd erst mal viel dazu lernen und ihren Alltag neu organisieren. Vorher herrschte praktisch ein kreatives Chaos. „Ich arbeitete als freischaffender Mode-Designer, bin oft in der Welt herumgereist. Unser Leben war unberechenbar“, sagt Gerd. „Wir sind vier, fünf Mal die Woche ausgegangen; es gab keine festgelegten Zeiten, keine Regeln, nichts dergleichen. Damit war nach Bobbys Ankunft erst mal Schluss. Menschen mit Down-Syndrom haben einen unglaublichen Ordnungstick. Alles muss seinen Platz haben, alles muss geregelt sein. Bobby braucht von uns viel Pflege und Zuwendung.
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