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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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Abd el Farrag? Tatsächlich drehen sich all diese Fragen nur um heterosexuelle Beziehungen; schwule Männer spielen dabei kaum eine Rolle. Als sexuell aktive Draufgänger sind sie praktisch nicht von Bedeutung. Nicht mehr.
    In den späten siebziger und achtziger Jahren war das nämlich noch ganz anders. Da wimmelte es zwischen den yellow press -Zeilen nur so von Schwulitäten, wenn sie auch selten in aller Deutlichkeit ausgesprochen wurden. Rainer Werner Fassbinder, Helmut Berger und Freddy Mercury, sie alle waren für einen schlüpfrig angedeuteten Tabubruch immer gut. Ganz zu schweigen von dem bayrischen Volksschauspieler Walter Sedlmayr, der allerdings erst nach seiner Ermordung als Homo geoutet wurde.
    Heute hingegen, da Homosexualität an sich für keinen Skandal mehr taugt, gilt schwules Begehren in den Boulevardmedien als bedeutungslos. Ein anschauliches Beispiel gibt der Modemacher Rudolph Moshammer ab, über dessen Sexleben erst nach seiner Ermordung durch einen Stricher im Januar 2005 spekuliert wurde. Sein Fall erinnert an den Mord an dem Volksschauspieler Walter Sedlmayr 1990. Doch anders als bei Sedlmayr war Moshammers Schwulsein nie wirklich ein Tabu. Viel tragischer: Man nahm seine Sexualität nicht einmal ernst. Einzig aufgrund seines bizarren Auftretens wurde er zum Münchner Medienliebling, blieb jedoch stets ein Außenseiter. Mit wallendem Pelzmantel, dick aufgetragenem Make-up und hochgewellter Geisha-Perücke strahlte er so wenig Erotik aus wie sein zotteliges Schoßhündchen namens Daisy. Nein, über das Sex- und Liebesleben von Moshammer wurde nie eine Zeile verloren, dafür erfuhr man jedoch viel über sein Engagement für Obdachlose, denn die Rolle als Wohltäter kann man sich für Schwule aus Hetero-Sicht am besten vorstellen.
    Ähnlich verhält es sich bei TV-Jodler Patrick Lindner, der Lieder singt wie: „Und wenn’s Nacht wird, gibt’s a Busserl“. Niemand käme je darauf, dass nach dem Busserl die Post abgeht in Lindners Bett, schon gleich gar nicht an der Seite seines Managers und langjährigen Lebensgefährten. Im Unterschied zu ihren heterosexuellen Kollegen aus der Unterhaltungsbranche – in der das Flirten, das Kokettieren und auch der Seitensprung wie selbstverständlich dazugehören – kommen die beiden so bieder daher wie, sagen wir mal: Edmund Stoiber, der mal in einem Interview bekannte, seine Ehefrau „Muschi“ zu nennen, weil er die andere Bedeutung des Begriffs gar nicht kennt.
    Wie bei Moshammer gilt auch die Sexualität von Lindner als irrelevant. Stattdessen stellt man auch bei ihm viel lieber sein soziales Enagement heraus. Ende der neunziger Jahre adoptierte er ein Kind aus einem Waisenhaus in Sankt Petersburg – für Blätter wie Bild und Bunte ein Dauerbrenner.
    Eigentlich ein Paradox: In schwulen Medien wird seit Jahren die sexuelle Selbststilisierung gefeiert, nackte Haut gezeigt und Berichten über Pornostars deutlich mehr Platz eingeräumt als beispielsweise schwulen Vätern. Die Boulevardpresse hingegen zeichnet das Bild von schwulen Verantwortungsträgern, die sich sexuell zurücknehmen, um Wertvolles für dieGesellschaft zu tun.
    Auch Letzteres ist nur die halbe Wahrheit, aber genau die, von der man dort nie etwas mitbekommen hatte. Eine Facette des schwulen Lebens, die bislang kaum gezeigt, ja, deren Berechtigung sogar lange bestritten worden ist. Schwule gelten als vergnügungssüchtig und taugen bestenfalls als Trendsetter für Unterhosen, Schamrasur und Körperpflege, so dachte man, aber von sozialer Verantwortung haben sie keinen blassen Dunst.
    Die Beispiele Lindner und Moshammer weisen in eine andere Richtung. Und sie sind nicht die einzigen.
    Eine stilvolle Altbauwohnung nahe der Isar im gepflegten Stadtteil Lehel. Es ist ein Zuhause mit hohen Decken, üppigem Stuck, Flügeltüren und Kronleuchtern, so großbürgerlich und geschmackvoll wie eine der Wohnungen in einer alten Derrick -Folge, nur viel moderner. In jedem Raum stehen Kandelaber, aber sie stehen da nicht einfach nur als Dekoration herum. Zumindest an diesem Abend sorgen sie in jedem Raum für stimmungsvolles Licht; es brennt keine einzige elektrische Lampe. An den Wänden hängt moderne Kunst.
    Über dem Schreibtisch sind zwei der drei Bewohner auf Porträts abgebildet. Als Strichmännchen, die sich bereits auf den ersten Blick durch ein Merkmal unterscheiden: Der eine hat Haare auf dem Kopf, der andere nicht.
    Die beiden sind Udo Bandel und Gerd Brederlow, seit nunmehr drei
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