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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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Die Wahrheit ist, dass selbst von stolzen Landeshauptstädten wie Hannover, Dresden oder Stuttgart kaum Impulse für schwules Leben ausgehen. Auch sie muss man zur Provinz zählen, wo es sich für viele aber immerhin gut einrichten lässt mit dem kleinen privaten Glück.
    Was bedeutet es heutzutage eigentlich, schwul zu sein?
    Fragen wie diese lassen sich meist viel besser aus einer zeitlichen Distanz beantworten.
    Ein persönlicher Rückblick in das Stuttgart der frühen achtziger Jahre: Mitten in der City öffnete dort allabendlich der King ‘s Club seine Pforten, einer der ältesten und wichtigsten schwulen Institutionen Deutschlands – ein wahrhaft legendärer Disco-Club, in dem in guten Nächten der Mob am Zocken war. Dafür sorgten vor allem die amerikanischen GIs und andere Mitarbeiter aus den nahen Kelly Barracks, die irgendwie unverklemmter daher kamen als andere Schwulen und Lesben. Zumindest war ihr Selbstbewusstsein so ausgeprägt, dass sie nicht davor zurückschreckten, beim Tanzen ganz weit in die Knie zu gehen, dabei mit den Schultern zu wippen und zum Sound von Kool and the Gang „Come and get it, Baby!“ zu kreischen.
    Das Einzigartige am King ‘s Club war jedoch das Interieur: durchgehend mit purpurnem Samt ausgekleidete Wände, üppige Spiegelrahmen, Blattgold an der Decke, barocke Putten unter gläsernen Tischplatten. Kurzum: eine rote Plüschhölle, die in einem das Gefühl noch verstärkte, dass die Schwelle zur schwulen Subkultur in eine ganz andere Welt führte. Eine, die ihrem stigmatisierten Publikum vorgaukelte, Teil eines erlauchten Kreises zu sein, einer wahren Elite anzugehören. Von einer ironischen Distanz, mit der man das heute sehen würde, war damals keine Spur. Die Besucher nahmen die suggestive Botschaft durchaus ernst, und nicht wenige passten sich in ihrem Gehabe und dem Styling dem Ambiente an.
    Der King’s Club war ein Paralleluniversum, ein schwäbisches Babylon im Untergeschoss eines schlichten Bürohauses, in dem sich ein paar besonders schillernde Paradiesvögel herumtrieben. Und das zu Zeiten, in denen die übrige Stadt längst im gerechten Schlaf der ernsthaft arbeitenden Bevölkerung versunken war. Für das pietistische Stuttgart waren die Öffnungszeiten damals etwas Unerhörtes; kein anderer Club hätte sich erlauben können, unter der Woche bis fünf Uhr früh zu öffnen.
    Im King ‘s Club hatte ich meinen ersten Kontakt zur schwulen Subkultur, und nie wieder sollte mir ein Ort so verrucht vorkommen. Es war eine Art Hassliebe, die mich immer wieder magnetisch anzog. Kein Mensch hätte damals auch nur zu ahnen gewagt, dass wir in naher Zukunft heiraten dürfen und in den Räumen von Hühnerzuchtvereinen Hochzeit feiern.
    Inzwischen ist der King’s Club komplett kaputtrenoviert, von der roten Plüschhölle ist nichts geblieben. Das war, wie mir erst heute bewusst ist, ein großer Fehler. Man hätte das Interieur unter Denkmalschutz stellen oder zumindest originalgetreu wiederaufbauen sollen, als eine große Kunstinstallation an einem anderen Ort, wo es einer größeren Öffentlichkeit eine Ahnung davon vermittelt hätte, was Schwulsein vor kurzem noch bedeutete.
    Der alte King’s Club ist indes unwiederbringlich verloren; stattdessen ist dort sterile Clubatmosphäre eingekehrt. Stuttgart ist seither um eine Attraktion ärmer.
    Die Aura einer exotischen Parallelwelt, die der schwulen Subkultur stets anhaftete – man findet sie vereinzelt noch in der deutschen Provinz –, ist vom Aussterben bedroht. Die schwulen Bars gleichen dort immer mehr dem Ambiente gewöhnlicher Kneipen; manche öffnen sich für heterosexuelle Männer und Frauen. Und ab und zu hört man davon, dass sich Schwule und Lesben nun immer häufiger auch auf Partys kennen lernen, die mit der Szene gar nichts zu tun haben.
    Da könnte man doch beinahe der Illusion erliegen, dass die Subkultur allmählich nicht mehr gebraucht und eines Tages vollends von der Bildfläche verschwunden sein wird. Und nur Nostalgiker müssten das bedauern, oder?
    „Wie homosexuell ist Deutschland?“, fragte die Welt am Sonntag in einer Schlagzeile des Feuilletons, nachdem Guido Westerwelle bei der Geburtstagsfeier von Angela Merkel seinen Liebhaber präsentiert hatte.
    Hierzulande sei „die Lage der Homosexuellen“, so das Blatt, insgesamt „blendend“. Dennoch bleibt man beim Lesen des Artikels an ein paar einschränkenden Anmerkungen hängen, die dann doch Zweifel aufkommen lassen: Einer Umfrage zufolge
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