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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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abspalten zu müssen. Man legte ihm eindringlich nahe, sein Schwulsein fortan doch lieber am Wochenende in München auszuleben und niemanden nach Uffing zu bringen, doch Sepp stellte auf stur. Darum lud er zu seinem vierzigsten Geburtstag die alten Freunde aus dem Trachtenverein ein, und ein paar Schwule aus München, die mittlerweile zu seinem Bekanntenkreis gehörten und einen Tag vorher nach Uffing anreisten. Kurz darauf läutete bei Sepp das Telefon Sturm. „Wir kommen nicht zu deiner Feier“, hieß es ein ums andere Mal, „wir wissen doch gar nicht, was wir mit deinen Münchner Bekannten reden sollen.“
    Da hat es ihm gereicht. Als Vorstand für den Trachtenverein wollte er sich von nun an nicht mehr engagieren, und so gab er nach zwanzigjähriger Tätigkeit den Posten freiwillig ab.
    „Warum soll ich mich für die zum Deppen machen, wenn die meine Freunde nicht akzeptieren?“
    Er wandte sich mehr seinem schwulen Bekanntenkreis zu, tat sich mit solchen zusammen, die wie er das Platteln liebten, und da es dafür zunehmend mehr Interessierte gab, hob er eines Tages die Schwuhplattler aus der Taufe. Indes blieb er immer noch einfaches Mitglied in seinem alten Trachtenverein, während man sich dort alsbald überlegte, wie man den Sepp zum Teufel schicken könnte.
    Anlass war ein kurzer Beitrag in einer Jugendsendung des Bayrischen Rundfunks, der auf die schwulen Schuhplattler aufmerksam geworden war. Dort wurde Sepp beim Platteln gezeigt – und zwar einmal auf einer Veranstaltung mit seinem alten Verein und ein andermal mit den Schwuhplattlern, die gerade dabei waren, zur Mediensensation stilisiert zu werden. Für den Normalzuschauer war zwischen beiden Auftritten kein Unterschied erkennbar.
    „Was halten Sie von schwulen Schuhplattlern?“, fragten die Reporter die traditionellen Trachtler.
    „Des is a Sauerei!“, schimpfte einer.
    „Mit dem Schmarren brauchst net kommen!“, ein anderer.
    Helle Aufregung herrschte nach der Sendung in Uffing.
    „Du bist eine Schande fürs ganze Oberland!“, rief ihm beim Pfarrfest ausgerechnet einer jener Klassenkameraden lauthals aus der Menge zu, der ihm nach seinem Coming-out im Trachtenverein noch versichert hatte, zu ihm zu stehen.
    Ein anonymer Anrufer terrorisierte ihn eines Nachts.
    Ein anderer Schwuler aus dem Nachbardorf wollte ihn nicht mehr kennen – aus Angst, selbst geoutet zu werden.
    Fortan war Uffing gespalten in Gegner und Sympathisanten.
    Der Dorfpfarrer gehörte zu denjenigen, die zu ihm hielten. Und Leute, mit denen er bislang kaum etwas zu tun hatte. Sein Bekanntenkreis veränderte sich.
    Auch durch den Trachtenverein zog sich ein Riss. Vom Gauverband der Oberländer Trachtenvereinigung wurde die Empfehlung ausgesprochen, den Sepp auszuschließen. Dazu kam es allerdings bis heute nicht, weil sich manche Mitglieder aus dem Dorf dann doch mit ihm solidarisierten und ihren Austritt androhten. Das wollte der Vereinsvorstand lieber nicht riskieren. Also versuchte man es mit anderen Mitteln.
    „Man teilte mir mit, es wäre besser, wenn ich fortan vom Gaufest fernbleiben würde“, sagt Sepp. Weil man für seine Sicherheit nicht mehr garantieren könne. Was für eine Formulierung: Ein Mafioso hätte das subtiler nicht zum Ausdruck bringen können.
    Als ein Fernsehteam des Bayrischen Rundfunks abermals nach Uffing anreiste, um eine Dokumentation über Sepp zu drehen, drohte ein Nachbar seiner Schwester Gewalt an, falls sie sich vor laufender Kamera negativ über das Dorf äußern sollte. Aber weil sie genauso stur ist wie ihr Bruder, dachte sie: Jetzt erst recht.
    „Die Leut ham halt einfach koan Mut net“, sagte sie zu dem Reporter in seelenruhigem Tonfall und unbeeindruckt von allen Einschüchterungsversuchen. „Statt zu uns zu kommen und mit uns zu reden, wenn sie ein Problem haben, tuscheln sie über uns hinter vorgehaltener Hand. Das begreif ich einfach net!“
    Im alten Feuerwehrhaus hat sich die Uffinger Gemeinde vor ein paar Jahren ein Heimatmuseum eingerichtet. Prunkstück der Ausstellung ist ein Modell des Dorfkerns, das vom Schneidermeister Josef Mayer zur 1250-Jahrfeier konstruiert wurde. Eine Kirche mit zwiebeiförmiger Spitze, ein Fluss mit Holzbrücken, ein paar Höfe und Häuser.
    Die Uffinger sind stolz auf ihre Gemeinde. Im Sommer blühen Geranien in den Blumenkästen, durch die Straßen werden Kuhherden getrieben, die Großstadt ist weit. Die Fahrt zurück nach München mit dem Zug dauert ungefähr eine Stunde.
    Eigentlich ist
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