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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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ein typisch Münchner Problem.“
    Auf Bundesebene hat Niederbühl jedoch genauso Probleme mit den Grünen. Ein „gespaltenes Verhältnis“, wie er es nennt. Die Erfolge ihrer Bürgerrechtspolitik mit der Homo-Ehe sind ihm zu mager, auch wenn er sich darüber im Klaren ist, dass große Visionen in der politischen Auseinandersetzung zwangsläufig von der Realität zurecht gestutzt werden. Dennoch hat er sich inzwischen mit seinem langjährigen Freund unter großem Presserummel verpartnert; der Münchner SPD-Oberbürgermeister Christian Ude höchstselbst trat dabei als Trauzeuge an. Jedoch ist Niederbühl der Ansicht, dass das Gesetz zur Lebenspartnerschaft lediglich „ein Rahmen ohne Füllung“ ist, bei dem man schnell auf Grenzen stößt. Zum Beispiel, wenn zwei Männer oder zwei Frauen ein Kind adoptieren möchten. Oder wenn es um steuerliche und soziale Gleichstellung geht.
    „Die Frustration ist groß“, sagt Niederbühl, und seine Miene lässt dabei keine Zweifel aufkommen, dass seine Feststellung zumindest auf ihn selbst zutrifft. Was vielleicht auch mit seinem persönlichen Werdegang zu tun hat, mit der Erfahrung, dass Politik ein unerbittliches Geschäft ist, in dem man nichts geschenkt bekommt, sich stets aufs Neue verausgaben und häufig einstecken muss. Von einem Solidaritätsbonus kann keine Rede sein. Enttäuschend für Niederbühl, dass nur ein Bruchteil der Münchner Schwulen die Rosa Liste auf dem Wahlzettel ankreuzt. Mit einem Stimmenanteil von zuletzt zwei Prozent ist er überhaupt nur deswegen im Rathaus, weil bei den bayrischen Kommunalwahlen keine Fünfprozenthürde überwunden werden muss. Und, nicht zu vergessen, ein Anteil der Stimmen galt der lesbischen Rosa-Listen-Kandidatin Marion Hölczl, für die es dann aber nicht mehr zum Einzug ins Stadtparlament reichte.
    „Am schwierigsten war der Wahlkampf 1990“, erinnert er sich, „da gab es noch Debatten in den Kneipen um das Wort ‚schwul’, das von vielen als zu negativ empfunden wurde.“
    Mit dem schwulen Selbstbewusstsein sei das nämlich so eine Sache, meint Niederbühl. Das werde stark überschätzt.
    „Sicher hat sich in den letzten Jahren gesellschaftspolitisch viel verändert, aber Selbstverleugnung und Selbsthass sind nach wie vor groß. Viele Schwule werden noch in der Wahlkabine rot, wenn sie die Rosa Liste auf dem Zettel entdecken.“
    Aber ist es nicht legitim, wenn sich manche Schwule mit dem gegenwärtigen Stand der Emanzipation einstweilen abfinden, weil sie anderen politischen Themen Vorrang geben möchten?
    „Jeder soll seine Prioritäten setzen, wie er will. Ich kann das auch verstehen, wenn Leute sagen, dass sie nicht stigmatisiert werden möchten. Wer jedoch wirtschaftlichen Fragen Vorrang einräumt und denkt, sein Schwulsein wäre einfach nur eine beliebige Facette unter vielen, dem sollte klar sein, dass das politisch fatal ist. Ein Stück Selbstverleugnung.“
    Niederbühl versucht, sich gelassen zu geben, aber seine Stimme hat längst einen gereizten Tonfall.
    „Am meisten ärgert mich, dass diejenigen, die nicht offen sind, von unseren Erfolgen profitieren und nichts daraus lernen.“
    Wie zum Beispiel die FDP, die seiner Einschätzung nach „die schwulste Partei Deutschlands“ ist und dabei für die Bewegung noch nie etwas getan hat.
    Nicht gemeint hat er hingegen Klaus Wowereit, dem er zugesteht, eine Lektion in Sachen Schwulenpolitik gelernt zu haben. Ganz am Anfang, kurz nach Wowereits Outing, als der Berliner Bürgermeister wegen eines einzigen Satzes überall in der Szene begeistert gefeiert wurde, da hat sich Niederbühl freilich schon gefragt, wie es plötzlich einer schaffen konnte, aus dem Nichts zur Speerspitze des schwulenpolitischen Kampfgeistes verklärt zu werden. Viele, die seit Jahrzehnten in der Schwulenbewegung aktiv waren, fühlten sich damals vor den Kopf gestoßen. Denn Wowereit hatte anfangs geradezu nachdrücklich betont, kein Schwulenpolitiker zu sein, und trotzdem spendeten ihm alle Applaus.
    „Da wurde gar nicht mehr gesehen, wem was überhaupt zu verdanken ist. Aber letztlich habe ich mir gesagt: Es ist unser Erfolg, dass Wowereit es geschafft hat.“
    Auch sein Chef, der Münchner SPD-Oberbürgermeister, gehört zu denjenigen, die von der langjährigen Vorarbeit der Schwulenbewegung profitieren – obwohl Christian Ude durch und durch heterosexuell ist. Aber niemals würde er es sich nehmen lassen, beim Christopher Street Day an der Seite von Niederbühl aufzutreten. Dort
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