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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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Uffing ein ganz normales Dorf wie jedes andere auch. Und was die Toleranz gegenüber dem Schwulsein betrifft, steckt wahrscheinlich in jedem Dorf ein bisschen Uffing.

Treffen mit dem Stadtrat der Rosa Liste:
Warum München eine schwul-lesbische Partei braucht
    Müssen Schwule und Lesben in der Politik von einer eigenen Partei vertreten werden? Von einer, die demonstrativ mit einem Homo-Etikett versehen ist?
    In München schon. Davon ist zumindest Thomas Niederbühl überzeugt. Es wäre auch merkwürdig, wenn ausgerechnet er daran Zweifel hegen würde, denn bis zum heutigen Tag ist Niederbühl der erste und einzige Kommunalpolitiker in ganz Europa, der als Delegierter einer schwul-lesbischen Initiative in ein Parlament gewählt wurde. Damit ist er weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt geworden, und selbst das Münchner Fremdenverkehrsamt wirbt mit diesem schwulen Superlativ irgendwo zwischen dem Hinweis auf Szenekneipen, Einkaufsmöglichkeiten und dem „Gay-Treffen“ im Bräurosl- Zelt auf dem Oktoberfest – ganz darum bemüht, das lokale Szeneleben in den schillerndsten Farben leuchten zu lassen.
    In diesem Zusammenhang klingt der Verweis auf den Homo-Stadtrat allerdings zwiespältig, als ginge es bei ihm und seiner Partei, der Rosa Liste, im Grunde nur um eine Attitüde zur Selbstdarstellung, um Ghettomentalität mit ein bisschen Tingeltangel, um schwul-lesbische Folklore eben.
    Dabei hat alleine schon der Parteiname einen ernsten Hintergrund. Der Begriff „Rosa Liste“ ist in Deutschland untrennbar mit der Geschichte der Verfolgung von schwulen Männern verbunden. Unweigerlich ruft er Erinnerungen an den Nationalsozialismus wach, an die Zeit, als Dateien über schwule Männer mit dem Ziel angelegt wurden, die homosexuelle Subkultur auszurotten. Doch auch in der Nachkriegszeit waren Rosa Listen bei der Polizei keine Seltenheit. Vereinzelt existierten sie sogar bis weit in die achtziger Jahre hinein.
    „Die bayrische Landesregierung musste 1988 zugeben, dass die Münchner Polizei immer noch Listen über Homosexuelle führte“, sagt Niederbühl.
    Dieser Skandal lieferte den Anstoß für die Gründung der neuen schwulen Partei im Jahr 1989, in die sich erst später auch Lesben einbrachten.
    Und weil es eben auch in der Parteipolitik um Listen geht, lag der Begriff „Rosa Liste“ nahe. Er sollte auf diese Weise positiv umgedeutet werden und gleichzeitig den mahnenden Klang beibehalten. Doch das Spiel mit der Doppeldeutigkeit behagte nicht jedem; nach feinsinniger Ironie stand kaum einem der Sinn in dieser Zeit. Kein Wunder, waren die gerade ausklingenden achtziger Jahre doch ein Jahrzehnt der Schrecken, allein schon wegen der Aids-Epidemie, deren verheerende Ausmaße Schlag auf Schlag sichtbar wurden. Und als wäre das nicht genug, schwappte damals eine Welle der Hysterie über das Land, die von Medien wie der Bild- Zeitung,und dem Spiegel losgetreten wurde. Von „schmuddeligen Minderheiten“ war im Hause Springer die Rede, die bald ganz Deutschland mit der „Schwulenseuche“ anstecken würden.
    In München wehte den Homos ein noch schärferer Wind ins Gesicht als in anderen westdeutschen Großstädten. Hier wollte sich unbedingt der CSU-Politiker Peter Gauweiler als Richter über Moral und Schuld aufschwingen: Er schlug vor, Razzien in Homo-Kneipen und -saunen durchzuführen und schwule Männer zwangsweise zu testen. Infizierte sollten gemeldet, isoliert und nötigenfalls weggesperrt werden. Mit seinen radikalen Forderungen schaffte es der Kreisverwaltungsreferent und spätere Staatssekretär im bayrischen Innenministerium bis aufs Titelbild vom Spiegel. Bremsen konnte ihn erst die damalige Bundesgesundheitsministerin Rita Süßmuth mit einem Konzept, das auf sexuelle Aufklärung statt auf Zwangsmaßnahmen setzte.
    Mit Erfolg. Die Horrorszenarien der Medien traten nicht ein, und mit den staatlich unterstützten Safer-Sex-Kampagnen war Schwulsein bald kein Tabu mehr. Für viele Grund genug, Schwulenpolitik für weitgehend erledigt zu erklären. Wie zum Beispiel für manch einen der Münchner Grünen, die von der Gründung der Rosa Liste nicht gerade begeistert waren.
    Daran erinnert sich Thomas Niederbühl noch genau. „Einer von den Grünen hat uns 1990 gesagt: ,Wieso braucht es eine Partei wie euch noch? Ihr kommt doch gar nicht mehr ins KZ.’ Daraufhin mussten wir schlucken. Aber es bestätigte nur unsere Vermutung, dass uns die anderen Parteien nicht ausreichend vertreten. Vielleicht ist das
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