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Grayday

Grayday

Titel: Grayday
Autoren: Hari Kunzru
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Heiligem angenommen. Kleine Votivbildchen tauchten in Marktständen auf. In einem Dorf in Bihar, so wurde berichtet, sei ein Junge wunderbarerweise von seiner Blindheit geheilt worden, als eine VHS-Raubkopie des Films im Fernseher des Dorfältesten gezeigt wurde.
    Wie der Filmstar aus dem Clansman’s Lodge Hotel in Schottland verschwunden ist, das kam erst nach dem tragischen Tod der Ehefrau des Medienmoguls Brent Haydon ans Licht. Während der achtzehn Monate ihrer Ehe hatte Gabriella Haydon-Caro zum lebenden Inventar des europäischen und amerikanischen Gesellschaftsklüngels gehört. Sie und ihr Gatte, der sich mit fünfundfünfzig allmählich aus der tagtäglichen Aufsicht über seine verschiedenen Interessen zurückzog, hatten einen glanzvollen Weg in östlicher Richtung über den Globus eingeschlagen: von ihrem Haus in Bel Air zu ihrer Skihütte in Aspen, dann über die Grenadine und die Hampton Islands nach Barcelona, San Tropez und schließlich nach Mykonos, wo sie eine Jacht charterten, um eine Gruppe von Freunden auf eine Kreuzfahrt durch die griechische Inselwelt mitzunehmen. Ihre Reise wurde von europäischen Paparazzi sklavisch dokumentiert, und mehrere Fotografen waren von Elia Beach aus, dem nächstgelegenen öffentlichen Aussichtspunkt auf den Liegeplatz der Paloma, Zeugen des Todes der dritten Mrs. Haydon. Es schien unmöglich, dass sie den Jetski nicht über das Wasser hatte heranflitzen sehen. Vielmehr scheinen Fotos zu beweisen, dass sie in dessen Richtung blickte, kurz bevor sie vom Deck der Jacht ins Wasser sprang. Sie war auf der Stelle tot.
    Einige Tage, nachdem der Leichnam zur Verbrennung nach Florenz geflogen worden war, verblüffte ein französischer Anwalt die Welt mit der Mitteilung, dass zwei Wochen zuvor Mrs. Haydon eine Computerdiskette bei ihm hinterlegt hatte mit der Anweisung, sie im Falle ihres Todes an Zeitungen in den USA und Europa weiterzuleiten. Diese Diskette enthielt ein einziges Dokument, eine sprunghafte und weitschweifige Geschichte, die teils autobiografisch, teils ein Tagebuch ihres ersten Ehejahres ist. Sie schildert ihr unglückliches früheres Leben, in dem sie, ihrem Vater entfremdet und wegen des unsteten Lebensstils ihrer Mutter, nie Freundschaften schließen konnte. Wiederholt kommt sie auf den Freitod ihrer Schwester zurück. In einem undatierten Text schreibt sie: »Chaque jour plus vite: Caroline, moi.« Sie scheint auf eine plötzliche Laune hin geheiratet zu haben: Sie lernte ihren Mann kennen, als er sich in dem Haus, in dem sie mit ihrem ehemaligen Freund wohnte, ein Penthouse ansah. »Ich wollte einfach irgendwohin«, schreibt sie. »Es war mir wirklich egal, wohin.«
    Der Großteil des Materials ist zwar rührend, aber nur von persönlichem Interesse. Die wichtigen Passagen betreffen die Zeit, kurz bevor sie ihren Mann kennen lernte, als sie Filmjournalistin war und in das Verschwinden von Leela Zahir verwickelt wurde. Die indischen Medien hatten sich wegen ihrer gerüchteweisen Liaison mit Rajiv Rana besonders für sie interessiert. Das Dokument richtet sich in Teilen offenbar direkt an sie. Gabriella gesteht, Leela bei der Flucht aus Schottland geholfen zu haben.
    Mrs. Haydons Testament scheint zu belegen, dass Leela Zahirs Verschwinden weder eine Entführung (wie ihre Mutter behauptete) noch Selbstmord war, sondern ein gut geplanter Versuch, ihrem »Gefängnis zu entfliehen«. »Warum sollte sie bleiben?«, schreibt Gabriella. »Sie hatte nichts. Ihre Arbeit war doch eine Art Prostitution.« Der Gedanke, dass Leela Zahir, Idol der Nation, in Wirklichkeit die »Sklavin ihrer Kuppelmutter« war, schockierte Indien tief. Leelas Leid erhöhte ihre Heiligkeit, wütende Pöbelhaufen sammelten sich vor mehreren Häusern, die Leuten vom Film gehörten, und brannten in einer Nacht mit Krawallen, die sich über ganz Mumbai ausbreiteten und mehrere Tote forderten, Faiza Zahirs Villa in Pali Hill nieder. Faiza Zahir war zu der Zeit bereits im Ausland und ruft jetzt Journalisten aus ihrem neuen Wohnort in Dubai an, um zu verkünden, »die Caro, dies Miststück« sei eine Lügnerin.
    Gabriella Haydon schreibt, sie habe gerade aus ihrem Fenster in Clansman’s Lodge Hotel geschaut, als darin ein Gesicht erschien, das aussah »wie Cathy in Wuthering Heights«. Da sie in einer oberen Etage wohnte, war das ziemlich erschreckend. Während sie noch entsetzt hinstarrte, bemerkte sie, dass es Leela Zahir war, die irgendwie aufs Dach geklettert war und sich dann an der
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