Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grayday

Grayday

Titel: Grayday
Autoren: Hari Kunzru
Vom Netzwerk:
eines wahnsinnigen Spiels. Einen Moment lang war Arjun Mehta, Opfer seiner Zögerlichkeit, die einzige unbewegliche Gestalt in der Menge. Er war aus ziemlicher Entfernung sichtbar, ein langer magerer Stecken von einem Jungen, der sich ein wenig zusammenkrümmte, bevor er in das Gebäude eintrat. Sein bebendes Gesicht hatte den Ausdruck sanfter Verwirrung, was aber durch eine Metallbrille halb verborgen wurde, deren Gläser von Fingerabdrücken verschmiert waren. Den Versuch, die Autorität über seine Oberlippe zu behaupten, unternahm ein flaumiger Schnurrbart. Während Arjun an seinem Kragen herumpolkte, zuckte das Bärtchen nervös, ein kleines, erschrocken auf einer Lichtung verhaltendes Tierchen.
    Als er sich endlich so klein fühlte, wie es ihm nur möglich war, klemmte er sich seine Zeugnismappe vor die Brust, gab dem chowkidar sein Anliegen kund und wurde die Treppe hinauf in die klimatisierte Kühle eines Bürofoyers gewinkt.
    Marmor unter seinen Sohlen. Der Verkehrslärm plötzlich gedämpft.
    In der Anmeldung saß eine Rezeptionistin. Eine Reihe Uhren über ihr, Relikte der optimistischen Jahre um 1960, zeigten die Zeit in wichtigen Weltstädten. New Delhi schien New York nur um zwei Stunden voraus zu sein und Tokio nur um eine hinterher. Unwillkürlich berechnete Arjun, wie sehr die Welt durch diesen Irrtum geschrumpft war, aber da er die Variablen nicht mal annähernd genau einschätzen konnte, verlor sich der Gedanke wieder. Einen oder zwei Augenblicke lang hing das Bild in seinem Gehirn herum: der Globus, der sich zusammenzieht wie ein Strandball, dem die Luft ausgeht.
    Er wurde in seinen Gedanken von einem Putzmann unterbrochen, der ihm mit einem Mopp über die Fußspitzen fuhr. Er sah den Mann finster an, der unverfroren zurückstarrte und seinen Weg durch das Foyer ungerührt fortsetzte. Die Rezeptionistin in der Anmeldung wies Arjun den Weg zu einer Reihe von Aufzügen. Er stieg in der achten Etage aus und suchte in dem Korridor nach der Bürosuite E. Immer panischer lief er hin und her. Gerade als ihm der Gedanke kam, man hätte ihm vielleicht eine falsche Auskunft erteilt, gelangte er an eine Tür, über deren Namensschild ein handgeschriebener Zettel geklebt war. Einstellungsgespräche hier. Er klopfte, erhielt keine Antwort, klopfte noch mal und schlurfte eine Weile herum, unschlüssig, was er tun solle. Das Scharren mit den Füßen schien auch nicht zu helfen, und so kniete er sich hin und putzte seine dreckigen Schuhe mit seinem Taschentuch.
    »Entschuldigen Sie bitte?«
    Er blickte zu einer affektiert wirkenden jungen Frau in einem pfirsichfarbenen salwar kameez hoch.
    »Ja?«
    »Würden Sie mir vielleicht aus dem Weg gehen?«
    »Entschuldigung.«
    Sie huschte an ihm vorbei und stieß anstandslos die Tür auf, hinter der sich ein Warteraum zeigte. Auf den orangefarbenen Plastikstühlen saßen nervöse junge Leute in jener eigentümlichen, sich gegen alles abschottenden Steilheit, die Jobbewerber mit Angeklagten und Menschen in Aufnahmestationen von Kliniken für Geschlechtskrankheiten teilen. Die Frau fegte hinein und nannte einer Angestellten ihren Namen, die ihn auf einer Liste abhakte und ihr eine Nummer zuteilte. Beschämt durch sein eigenes Versagen, folgte Arjun.
    Die Bewerber wanden sich. Sie husteten und spielten mit ihren Händen. Sie taten so, als blätterten sie Illustrierte durch, und unternahmen komplizierte Versuche, jeden Blickkontakt untereinander zu vermeiden. Alle Stühle waren besetzt. Arjun suchte sich einen Platz in der Nähe eines Fensters, stellte sich dort auf und verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, während er sich im Positivmodus zu rebooten versuchte. Hör zu, Mehta. Du weißt nicht, wie viele Stellen Databodies zu vergeben hat. Vielleicht sind es mehrere. Die Amerikaner haben Fachleutemangel. Sie wollen so viele Programmierer haben, wie sie kriegen können. Aber so viele Bewerber? In dem Raum waren mindestens fünfzig Personen.
    Die Klimaanlage murrte, gegen die steigende Hitze der Masse schwitzenden, jobhungrigen Fleisches kam sie einfach nicht an. Einige fächelten sich mit ausgefüllten Formularen Luft zu. Stühle quietschten unter feuchten Hintern. In drei Zimmern gleichzeitig fanden Einstellungsgespräche statt, und während Leute hineingerufen wurden und andere ankamen, veränderte sich die Szene um Arjun herum wie die Zeitrafferaufnahme eines unbestimmten Naturvorgangs, weder Zeugung noch Verfall. Immer wenn ein Stuhl frei wurde,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher