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Grayday

Grayday

Titel: Grayday
Autoren: Hari Kunzru
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Rülpser die Wange, während sie mit einem absoluten Minimum an Ermutigungen ihren Weg in der Welt machte? Seit sie ihren Abschluss in Fernmeldetechnik hatte, schienen ihre Eltern auf nichts anderes aus zu sein, als sie an den erstbesten Jungen mit allen vier gesunden Extremitäten zu verheiraten, der durch die Tür spaziert kam.
    Wie es sich so traf, war Arjun nicht der Einzige mit einem neuen Job. Aber kümmerte es jemanden? Nahm irgendjemand auch nur Notiz davon? Nachdem ihre Eltern mit fast allen ihrer Bekannten telefoniert hatten, um ihnen die Neuigkeit über ihren Bruder mitzuteilen, und ihr Vater am Ende eines besonders befriedigenden Anrufs in Ahmedabad den Hörer aufgelegt hatte, kam sie endlich dazu, es ihnen zu erzählen.
    »Was meint ihr damit, dass ihr noch nie was von DilliTel gehört habt? Es ist ja bloß das aktivste Callcenter in der Stadt.«
    Sie erklärte die Schaltung nach New South Wales, dass sie »an exponierter Stelle« säße und den Kunden einer der größten Energiegesellschaften Australiens Hilfe und Unterstützung liefere. Ihre Mutter fragte, warum sie denn überhaupt einen Job brauche. Wäre es nicht besser, sie bliebe zu Hause? Ihr Vater runzelte über seiner Brille die Stirn, während er sich hilflos mit den Prinzipien der modernen Telekommunikation herumschlug.
    »Was?«, fragte er. »Du meinst, sie rufen hier bis aus Australien an?«
    »Genau. Für diese großen Gesellschaften ist das rentabel.«
    »Rentabel? Das heißt doch das Geld aus dem Fenster werfen!«
    »Daddy, sie kaufen Kapazität. Die Kunden müssen nichts zahlen. Sie wissen nicht mal, dass sie im Ausland anrufen. Es ist so ein toller Job, Daddy. Ich bekomme eine Ausbildung in australischer Sprache und Kultur. Wir müssen alle den lokalen Slang und Tonfall beherrschen und alle möglichen Alltagsbelanglosigkeiten aus dem Effeff parat haben.«
    »Belanglosigkeiten?«
    »Sportergebnisse. Wetter. Die Namen von TV-Prominenten. Sie helfen, Kundenvertrauen und Einfühlungsvermögen zu bilden. Als Telefonistinnen müssen wir sogar eine neue australische Identität annehmen. Einen nom de guerre, nennt das der Direktor. Was meint ihr zu Hayley?«
    »Namda-was?«, stotterte Mr. Mehta. »Hör mal junges Fräulein, was ist denn an deinem eigenen guten Namen verkehrt?«
    Ihre Mutter nickte beifällig. »Beti, mir gefällt überhaupt nicht, wie das klingt. Es hört sich nicht nett an. Warum kannst du diesen australischen Typen nicht sagen, sie sollen dich Priti nennen oder besser noch Miss Mehta. Das wäre so viel hübscher.«
    Priti hatte ihr Bestes versucht. Jetzt konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten.
    »Ich glaube es nicht. Ich tue was Gutes, und ihr macht es mir zum Vorwurf. Ich hasse euch! Ich hasse euch alle!«
    »Sprich nicht so mit deinem Vater«, fauchte Mrs. Mehta, aber ihre Worte trafen nur den Rücken ihrer davonrauschenden Tochter.
    Mr. Mehta verdrehte die Augen zur Decke. »Das kommt von zu vielen Fernsehkanälen. MTV, Damenmode-TV, So-und-so-und Was-nicht-noch-alles-TV. Keine Tochter hätte so mit ihrem Vater geredet, als es bei uns nur Doordarshan gab.«
    »Sie entwickelt sich zu einem dieser kosmopolitischen Mädchen«, sagte seine Frau. »Ich denke, wir sollten eher früher als später einen Mann für sie finden.«
    Mrs. Mehta zog sich zurück und stieß einen Schöpflöffel in Malinis dhal. Mr. Mehta wandte sich wieder dem Wirtschaftsteil der Times of India zu. Arjun schlüpfte leise auf den Korridor und klopfte an die Tür seiner Schwester. Als Priti nicht antwortete, drückte er auf die Klinke und trat ein. Sie lag auf ihrem Bett und hatte ihr Gesicht in einem Stapel Kissen vergraben. Er hockte sich neben sie und versuchte sich eine Strategie auszudenken, um sie aufzuheitern.
    »Na, na«, sagte er und tätschelte ihr die Schulter. Eine dumpfe Stimme sagte ihm, er solle abhauen. Gehorsam stand er auf und wollte schon weggehen, da besann sich die Stimme anders. Pritis Gesicht war rot, und ihr hing ein Rotzfaden aus der Nase.
    »Gut gemacht, Bro«, sagte sie.
    »Gut gemacht, Sis«, antwortete er. Sie schwang die Beine vom Bett, dann saßen sie lange schweigend beieinander. Anfangs war das gemütlich, aber Fragen nagten an Arjun, und schließlich fühlte er sich gezwungen zu reden.
    »Meinst du, du wirst Fakten über das Surfen sammeln müssen, oder beschränkt es sich auf Mannschaftssport?«
    Priti sah ihn an. Es war dieser Blick, mit dem sie sonst zu signalisieren pflegte, dass seine Kleidung nicht
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