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Grayday

Grayday

Titel: Grayday
Autoren: Hari Kunzru
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grell gemusterten Strickjacke, brachte er zaghaft zur Sprache, dass er nur sehr wenig Freigepäck haben dürfe, oder wies darauf hin, dass Kalifornien vielleicht gar nicht so kalt wäre, wie sie dächte. Solche Bedenken wies sie umstandslos von sich.
    An den Abenden bestand Mrs. Mehtas zwiefache Hauptbeschäftigung im Einnähen von Namensschildchen und dem Problem Priti. Während sie neben ihrem Nähkästchen saß, regte sie sich darüber auf, dass bezahlte Arbeit ihre Tochter unerwünschten Einflüssen aussetzen und deren Heiratsaussichten schmälern würde. Mr. Mehta schien diese Sorgen zu teilen, bis ihm klar wurde, wie viel Priti verdienen würde. Auf der Stelle begann er die Idee eines Callcenters in das Bild aufzunehmen, das er von sich als einem modernen Menschen hatte. »Meine Liebe«, sagte er zu seiner Frau, »es ist alles eine Frage des momentan boomenden Dienstleistungssektors. Welche Ausbildung könnte für ein Mädchen geeigneter sein?« Und so wurden die Bedenken ausgeräumt. Still und ohne großes Tamtam begann Priti mit ihren täglichen Fahrten zu DilliTel.
    Als der Tag seiner Abreise näher rückte, verbrachte Arjun immer längere Zeiten im Bad, dem einzigen Zimmer im Haus mit einer verschließbaren Tür. Dessen weiß gekachelte Feuchte hatte etwas Besänftigendes wie ein Mutterleib. Eines Tages saß er gerade da drin auf der Toilette und las eine Abhandlung über genetischen Algorithmus, als es im Wohnzimmer irgendwelches Getümmel gab. Als er hinausging, erfuhr er, dass sein nagelneuer Pass mit einem Visumsstempel in Form eines amerikanischen Adlers auf der ersten leeren Seite zurückgebracht worden war. »Sweet as!«, sagte Priti in ihrem neuen australischen Dienstleisterjargon. »Wahnsinn!« Und dann ein wenig nachdenklich: »Klasse, Bro.«
    Trotz wiederholter Anrufe bei Databodies konnte ihm niemand sagen, wo er arbeiten würde oder wo genau er in seiner ersten Woche in Amerika untergebracht wäre. Eines Morgens brachte ein Bote das Flugticket, ein Einfachflug nach San Francisco mit Zwischenlandung in Singapur. In einer kurzen Notiz wurde ihm mitgeteilt, dass er in SFO von einem Beauftragten der Firma abgeholt werden würde.
    »Sfo?«, murmelte Mrs. Mehta argwöhnisch. »Das klingt eher russisch als amerikanisch.«

A n seinem letzten Abend ging Arjun zum unterirdischen Basar in der Nähe seiner Wohnung, um ein paar letzte Reisevorbereitungen zu treffen. Selbst spätabends herrschte im Basar noch Trubel, Kassetten plärrten Filmmelodien, und hartes weißes Licht ließ die Farben der Stände verblassen, an denen Hemden in Plastikhüllen, Küchenutensilien, Büroartikel und elektronischer Krimskrams feilgeboten wurden. Auf der unteren Etage, neben dem Hochzeitswarenhaus, befand sich Gabbar Singh’s Internet Shack, ein Raum mit Wänden, von denen die Farbe abblätterte, und einem halben Dutzend PCs, die sich auf zwei Tapeziertischen drängten. Der einzige Schmuck war ein Poster von Amjad Khan, der, vor lodernden Flammen stehend, drohend heruntergrinste. Der Geschäftsführer, Aamir, ein magerer Muslim, ein paar Jahre älter als Arjun, war stolz auf den Gangsterstil seines Lokals, den er noch dadurch unterstrich, dass er in Furcht einflößender Haltung mit dunkler Brille draußen an der Mauer lehnte und bidis rauchte. Gewöhnlich war immer ein Computerterminal frei.
    An diesem Abend war Gabbar Singh’s völlig leer. Als der Geschäftsführer Arjun sah, legte er seinen neuen »Torso-Tiger«-Brustkorbtrainer weg und zog seine übliche Begrüßung ab, indem er seine Finger zu Pistolen formte und eine Salve imaginärer Schüsse abfeuerte. Nachdem die Formalitäten erledigt waren, gab Aamir seinem Freund einen Klaps auf den Rücken und begann geschickt seine neueste CD-ROM-Produktion anzupreisen.
    »Und wie nennst du sie diesmal?«, fragte Arjun, während er auf einem der wackeligen Stühle Platz nahm und auf dem Bildschirm vor sich ein Fenster öffnete.
    »Too Too Sexy 2.«
    »Dann ist es eine Fortsetzung von Too Too Sexy?«
    »Achcha! Scharf wie ’ne Rasierklinge, sag ich dir. Es geht um Blondinen.«
    »Es geht immer um Blondinen, Aamir.«
    »Danken wir Gott, dass er die Schöpfung voll unter Kontrolle hat. Also, bhai, nimmste eine?«
    »Frag mich später noch mal, okay? Ich habe was zu erledigen.«
    Aamir guckte verstimmt. »Ganz wie du willst, Boss. Aber vergiss nicht, mehr als achthundert hübsche Ladies auf einer einzigen Platte, die Chance haste nur einmal im Leben. Rümpf nicht die
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