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Grayday

Grayday

Titel: Grayday
Autoren: Hari Kunzru
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zu nehmen: eine Flasche Absolut Citron, ein offenes Garnelen-Sandwich, eine Illustrierte. Wie die mit antiken Königen bestatteten Gegenstände hatten diese Dinge nur einen vorübergehenden Zweck: Ihm dabei behilflich zu sein, von dort, wo er war, dahin zu gelangen, wohin er unterwegs war, und ihm seinen Übergang in die nächste Welt zu erleichtern.
    Wenn du dich wie Guy an den Ausgang der Kurve setzt, lebst du in der Zukunft. Buchstäblich. Wie soll man es sonst verstehen? Es ist, als wärest du einer bizarren physikalischen Wirkung ausgesetzt, einem Nebel, der dich über die triviale Zeitlichkeit der entpersönlichten Massen der Erde hinaus ausdehnt. Im Gegensatz zu den Rucksacktouristen, den Leuten auf Hauptstraßen-Shoppingtour und all den anderen, die sich sehnen und mühen, ist deine Existenz extrem. Die Erregungen sind enorm, aber sie haben ihren Preis. Wenn Guy schlief, träumte er von hohen Gebäuden. Er wusste, dass er durch das leiseste Nachlassen der Konzentration, durch das kleinste Versagen der Reaktionsfähigkeit hinunterstürzen konnte auf den Platz der Kleider-Discounter, der Raufasertapeten und billigen Hühnerteile. Manchmal nahm nachts sein Zucken einen regelmäßigen myoklonischen Rhythmus an, einen stetigen Kreislauf von Sturz und Erholung. Boom und Pleite.

I m Laufe der Jahre hatte Arjun sich jede Menge Gedanken über Silicon Valley gemacht. In seinen Tagträumen spielte dieser Ort eine wesentliche Rolle, in ihnen entwickelte er sich nach und nach zu einer vergessenen Welt weiter, einer versteckten Schlucht, in der sich Faseroptik- und Rundfunkbaracken drängten, wo Surferinnen dich zu Filmen begleiteten, die hier bereits am Tag der internationalen Uraufführung zu sehen waren, und wo die Zahl n verfügbarer Düfte immer n+1 war, wobei n die Gesamtsumme war, wenn du ein letztes Mal aufs Menü gucktest. The Valley: so spannend, dass du dich wie Lara Croft an einer Felswand abseilen musstest, um hineinzugelangen. Eins weiter. Spieler Mehta, rücken Sie vor.
    Das erste Hindernis war die Beantragung des Visums. Tage verbrachte er damit, Unterlagen zu sammeln, Tage, um Porträtfotos anfertigen zu lassen und Formulare auszufüllen, sodann weitere Tage in der amerikanischen Botschaft, wo er den ganzen Stapel in einem braunen Umschlag abzugeben hatte. Er stand dort in der Schlange, Teil einer schubsenden Menge von Antragstellern, die von zwei uniformierten Wachposten in Schach gehalten wurde. In jedem Auge stand dieselbe entschlossene Ausdruckslosigkeit, ein Tausend-Meter-Starren, das auf den H1B-Einwandererstatus, auf eine von Dollars beherrschte Zukunft gerichtet war.
    Als Nächstes hatte er sich dem Zorn von Mr. Khan zu stellen. Seit seinem Collegeabschluss war Arjun auf Teilzeitbasis bei Indus Fancy Products Pvt. beschäftigt, einer Firma, die dem Bruder eines seiner Collegeprofessoren gehörte. Für Mr. Khan war die Entdeckung, dass sein Angestellter Amerika den Vorzug gab gegenüber dem Export eines Großsortiments an Kunsthandwerk aus Marmor und Onyx, offener Verrat. »Dies ist«, knurrte er und fuchtelte mit einem knochigen Finger vor Arjuns Gesicht herum, »eine Frage der Treue. Und eine Frage des Patriotismus. Wer hat Sie für diese Arbeit ausgebildet? Indien! Wer hat die Schulen bereitgestellt? Haben Sie darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn Sie ins Ausland gehen, statt Ihre Talente zum Wohl der Nation einzusetzen?«
    Arjun erwiderte (stumm), wenn Indien ihn für irgendetwas hätte haben wollen, hätte es wahrscheinlich gefragt. Laut murmelte er, dass er mehr Geld verdienen wolle. Mr. Khans pockennarbiges Gesicht lief zu einem entnervenden Purpurrot an; seine Rede begann als Taxonomie jener Menschen, die die nährende Brust von Mutter Indien zurückwiesen (die Undankbaren, die Feiglinge usw.). Dann holte er weiter aus und ging auf Pandit Nehru, Strom aus Wasserkraft, die Bandung-Konferenz von 1955 und die gegenseitige Befruchtung von Menschenaffen, Schweinen und Hunden ein. Als er anfing zu brüllen, räumte Arjun das Feld, von verblüfftem Sekretärinnengeschnatter begleitet.
    Das Verhalten seiner Mutter war unberechenbar. Laut Priti versuchte sie, ihre Angst und Sorgen im Kaufrausch zu verdrängen. Tatsächlich hatte sie Arjun immer im Schlepptau, wenn sie ärmellose Pullover, Schals, Strickmützen und ayurvedische Medizinen einkaufte, die notwendig seien, wenn die zarte Konstitution ihres Jungen dem amerikanischen Klima standhalten sollte. Gelegentlich, angesichts irgendeiner
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