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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter
Autoren: Grimms Woerter
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aufstöberten - Wilhelm in Kellerarchiven, Jacob sogar auf Reisen, so
in Wien, während walzerselig der Kongreß tanzte oder Länderschacher betrieb -
und dank fleißiger Beatmung, bei Luther noch Odem, wiederbelebten. Nur soviel:
beide waren, so vergattert sie als Brüderpaar auftraten, eigen und
gegensätzlich. Wenn sie sich, anfangs noch im Auftrag des Dichters Brentano,
gemeinsam tätig sahen, hat dann aber - »weil es Clemens an Ausdauer oder Lust
mangelte« - allein Wilhelm alle gehorteten Märchen, wie sie in Hessens
Spinnstuben erzählt wurden und die ihnen befreundete Zuträger geliefert hatten,
vorerst in grober, weil ursprünglicher Fassung, danach behutsam geglättet und
in gemäßigten Ton gebracht, sodann als Buch herausgegeben, auf daß sie nicht in
den allzeit offenen Schlund des Vergessens fielen. Auflage nach Auflage
verbreitet, sind sie uns als Grimms Kinder- und Hausmärchen noch immer zur
Hand.
    Der
ältere der Brüder, Jacob, kümmerte sich mehr ums Herkommen der Wörter und ging
ihrem grammatischen Regelwerk nach. Wo Wilhelm dem schönen Klang zuliebe ab und
an schummelte, blieb er wortgetreu. Sie ergänzten und grenzten sich ab. An
verschiedenen Orten lagen ihre Gelehrtenstuben nebeneinander und erlaubten
später, bei gelegentlich offener Zwischentür, stummen Austausch von
Geschriebenem, heitere Anrede, auch halblauten Disput von Stube zu Stube. Dabei
kam ihnen viel Bücherstaub in die Lungen, der besonders Wilhelm, dessen
Gesundheit von schwacher Natur war, wenig bekam. Er kränkelte häufig, gab
Stimmungen nach, sah unverwandt in Abgründe, schien dann wie abwesend zu sein
und bedurfte der brüderlichen Aufmunterung.
    Oft
suchten sie Ausgleich in der Natur, weshalb sie mir bald und immer wieder, sei
es in Kassels Schloßpark oder entlang dem Ufer der Fulda, sei es später in
Berlins Tiergarten, aber auch gegenwärtig auf Wunsch oder aus listiger Absicht
herbeizitiert, als Spaziergänger begegnen werden. Mal vereinzelt, weil ich
Jacob schnelleren Schritts als Wilhelm unterwegs weiß, dann auf kurzer Strecke
Seit an Seit. Beide sind zuinnerst vom Andrang der Wörter bewegt, die gerufen
wie ungerufen zur Stelle sind, wispernd anhänglich bleiben, drängeln und laut
auf Vortritt bestehen. Kaum abgerufen, sind sie wortwörtlich da, ergeben Sinn
oder klingen nur nach; fast alle erheben Anspruch, mit Zitaten bestätigt zu
werden.
    Ein
Auftrag besonderer Art hat die Brüder beredt gemacht. Schritt nach Tritt höre
ich Jacob, nachdem er vom Adel auf die Ader gekommen ist, den Atem abwandeln,
wobei er ihm zwischenlautlich ein H gönnt und das »athem holen« bei Schiller,
des »lebens athemkraft« bei Goethe nachweist, dann Fischart althergebracht
beim Wort nimmt, der die »sackpfeifer, die für geld ihren athem Verblasen«,
»athem-verkaufer« nennt; derweil Wilhelm, dem Bruder hinterdrein, von Dank über
Dorn und Durst der Wortstrecke des Buchstaben D kein Ende absehen kann: jetzt
ist er bei drei, dreierlei, den drei Wünschen im Märchen.
     
    So,
über Wortbrücken, sind wir verbunden: Lustwandler auf eingetretenen Wegen. Ich
bin dem einen, dem anderen beiseite oder wahre Abstand zu den
Lautverschiebern, Wortschnüfflern, Silbenstechern. So sehe ich sie: aufrecht,
noch ungebeugt von der Jahre Last schreitet der eine aus, verzögert der andre
den Schritt.
    Auf
Dauer jedoch waren beide als stubenhockende Sprachgelehrte von krümmender
Seßhaftigkeit, wie sie mir nun als Bibliothekare in den Blick geraten. Nicht
während ihrer kurhessischen Frühzeit in Kassel, wo Wilhelm eher abseits sein
Auskommen fand, Jacob jedoch mehreren Herren, so Jerome, dem Bruder Napoleons,
zu Diensten war und sechs Jahre lang bei gutem Salär dessen Bibliothek besorgte,
vielmehr sind sie mir inmitten ihrer Lebensbahn nahe gerückt: in Göttingens
Universität, der weitberühmten Georgia Augusta, wo sie zudem, was heißt, wenn
sie nicht in der einstigen Paulinerkirche über Büchern hocken, vom Katheder
weg als freiredende Professoren eher unlustig ihr Allwissen vergeuden; gute
Lehrer sind sie nicht. Ich stelle mir vor, wie Jacob über die Köpfe seiner
Studenten hinwegredet.
    Zu
dieser Zeit schreibt er bereits alles, gleich ob Brief oder Manuskript, in
Kleinschrift, die jedes Hauptwort einebnet. Sogar hinterm Punkt darf kein
Großbuchstabe auf sich aufmerksam machen. Nur Eigennamen sind Ausnahme. Sein
Bruder eifert ihm nach, wenn auch weniger konsequent. Und ich beuge mich ihrem
Diktat, sobald die von ihnen angehäuften
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