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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter
Autoren: Grimms Woerter
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den Studenten
angeschlossen hatte, spricht von Immortellenkränzen, die den Ausgewiesenen
verehrt wurden. Auch habe man Wegzehrung in die Kutschen gereicht. Gleich nach
der Ankunft vorm Brückenzoll hätten die Asylsuchenden in Abschiedsreden die
Studenten ermuntert, so der Historiker Dahlmann: »Daß die nicht die
schlechtesten Staatsbürger sind, welche dafür halten, daß die Eide ungebrochen
bleiben...« Und Jacob Grimm hat auf seine, eher ins Allgemeine schweifende
Weise die studierende Jugend ermahnt: »Ihre Herzen sind noch empfänglicher für
die Erkenntnis des Rechten. Bewahren Sie sich dieses Besitztum Ihrer Jugend bis
ins späteste Alter, so werden Sie Ihr Leben in Frieden vollenden.«
    Gervinus,
der weit jüngste der Ausgewiesenen, wird bei Berthlan nicht zitiert. Und
unerwähnt ist im Bericht des Stiftsrepetenten, daß sich - kaum hatten nach
Peitschenknall die Pferde angezogen und die Kutschen, von Hochrufen und Gesang
begleitet, ab Mitte der Brücke das ungastliche Land Hannover verlassen - Jacob
Grimm aus dem Kutschenfenster gelehnt und rückblickend mit wehem Abschiedsblick
den Einsilber »Ach« mehr gehaucht als gerufen haben soll: »Ach...«
    Nun
ist dieser Wehruf eine Ableitung des früheren Ah! und des eher erstaunten Aha!
Doch schon Luther läßt Jeremias sagen: »ach, dasz ich wasser gnug hätte« -
»ach, wie ist das gold so gar verdunkelt«. Auch wird geklagt und frohlockt: »ach,
ich elender« - »ach, wie schön ist das.«
    Anschließend
weiß ich, wer alles noch dem Verlust ein Ach abgenötigt oder aus Vorfreude
vorangestellt hat, »ach, armer Yorick«, »ach neige, du Schmerzenreiche«, »ach,
wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß«. Und weitere Zitate,
die zum Bad einladen. In meiner Jugend röhrte Zarah Leander im Kino als Orpheus
seiner ihm abhanden gekommenen Eurydike nach: »Ach, ich habe sie verloren. Außerdem
ist, etwa bei Lessing, ein substantivisches Ach in Gebrauch: »sie antwortete
mit einem ach...« Leider wollte später Jacob, in dessen Zitatenfülle mit Goethe
Schluß sein sollte, nichts von Alkmene und dem dramatischen Ach bei Kleist
wissen. Häufig tritt es verdoppelt auf: »Ach, ach!« Und als ich unlängst »Die Box«
schrieb, rief in den Dunkelkammergeschichten mein Knipsmalmariechen angesichts
des familiären Kuddelmuddels wiederholt: »Achachach!«
    Nie
hat es an Anlässen gefehlt. Geläufig ist wegen schwieriger, also unter Klagen
und Ächzen verrichteter Arbeit die Kurzfassung »mit Ach und Krach«. Und Fleming
verstand sogar, aus dem allzu häufigen Ach des Liebeskummers ein Verbum zu
drechseln: »auch ich war krank in ihr, in ihr hab ich geachet...« Und was sonst
noch mit einem Ach beginnt, endet oder umgangssprachlich geachet wird:
»Achgottchen! Achdumeinegüte!«
     
    Als
aber Jacob Grimm Abschied nahm und sein Ach mehr seufzte als rief, galt dieser
Wehlaut weniger der Stadt und ihrem gesellschaftlichen Treiben, das ihn ohnehin
angeödet hatte, doch mehr dem in Göttingen zurückgebliebenen Bruder sowie
dessen Frau und den drei Kindern Herman, Rudolf, Auguste, die ihm Familie
waren. Auch all den Schätzen in der Paulinerkirche, der den Brüdern bis vor
kurzem noch anvertrauten und als eigen erachteten Universitätsbibliothek, seufzte
er nach, den sieben Jahren Hockerei über Büchern, einer Zeitspanne, in der der
dritte, dann vierte Band der deutschen Grammatik an Umfang gewonnen und er der
Sprache stetigen Wandel abgelauscht hatte, entrückt ins Urzeitliche erster
Lautbildungen, andächtig besorgt allein um »Sprachdenkmäler«, wie er Altwörter
nannte, so daß er sich ohne Parteinahme, weil fern dem Ansturm der Gegenwart,
abseits vom alltäglichen Parteiengezänk sehen konnte.
    Abscheulich
schmeckte ihm jegliche Politik. Weder als Liberaler noch als Konstitutioneller
wollte er dafür oder dagegen sein. Selbst seinen Nebensätzen, die dem traurigen
Zustand des Vaterlandes galten, war nichts Anstößiges, kein demokratisches
Rumoren abzuhören gewesen, nur Wehlaute, die einander genügten. Er verhielt
sich als Bürger, bei allem Abstand zum Adel, den er als abgelebt ansah, überparteilich.
Nur seinem grammatischen Regelwerk sah er sich verpflichtet und - wie sich
zeigen sollte - der Landesverfassung, wenngleich er sie, wie alles
Menschenwerk, als reformbedürftig erachtete.
    Nun
aber war sie gebrochen worden. Zum Eidesbruch hatte man ihn nötigen wollen.
Seiner Haltung verlustig, hätte er sich aufgeben müssen. Das ging nicht an.
Auch
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