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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter
Autoren: Grimms Woerter
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genannt wurde. »Aua!« kam ihm über die Lippen, der Ausruf
»autsch!« bei Schmerz. Dann fiel ihm aus des lebenslang asylsuchenden Arztes
Rabelais wortmächtigem Angebot der Arschwisch nach Fischarts freier Übersetzung
ein. Welch satte Auswahl! Anschließend trug ihm der Fleiß der Ameise, die einst
Emaz, Emeisz, Omeis und Aumeise geheißen hatte, Wörter zu: Augenmerk, Arglist,
Altgesell. Etwas wurde altbacken genannt. Er erinnerte sich, daß seine Mutter
in Hanau und Steinau von allen Leuten die Amtmännin genannt wurde. Plötzlich
reizte ihn ein ins hohe Altertum zurückweisendes Wort. Alfanz, rief er,
Alfanzerei, alfänzig. Wer mochte damit gemeint sein? Vermutlich seine in
Göttingen verharrenden, in ihren Talaren verschanzten Kollegen, diese
Alfanzer!
    Schließlich,
oder weil ihn Dahlmann, der Freund, besorgt musterte, berief sich der
Asylsuchende auf jenen alttestamentarischen Aussiedler, von dem wir abstammen,
alle:
    Ach, alter Adam!
    Ab
Anbeginn setzten dir Angstläuse zu,
    plagte
dich Aftersausen, war zu ahnen,
    es
könnte etwas, das ähnlich der Schlange
    sich
aalt, länglich aalglatt ist,
    ein
Angebot machen, das seit Augustinus
    Erbsünde
heißt und ab dem Apfelbiß
    Anspruch
erhebt auf Vaterschaft, Alimente.
    Danach
wurde im Schweiße des Angesichts
    nur
noch geackert.
    Arbeit
im Takt nach Akkord,
    und
deren Mehrwert abgeschöpft,
    bis
abgesahnt nichts mehr da war.
    Ach,
alter Adam!
    Jacob
Grimm, der als Hesse von Geburt hätte ahnen müssen, was den Heimkehrer
erwartete, erschrak dennoch angesichts der Ackersleute, die er in eilig
durchfahrenen Dörfern sah: schreiende Armut allenthalben. Billig wie beim Ausverkauf
fiel ihm zu, was redensartlich in aller Munde war: armer Wicht, armer Teufel,
armer Schelm, auch noch das Armutszeugnis, bis ihm ein Zitat abrufbar wurde:
»ich armes käuzlein kleine«, das als Lied in »Des Knaben Wunderhorn«, jener
Sammlung der Jugendfreunde Achim von Arnim und Clemens Brentano, an der die
Grimmbrüder mitgewirkt hatten, zu finden ist und deren Entstehen in dem Roman
»Der Butt« ausführlich im Kapitel »Die andere Wahrheit« nacherzählt wird.
Allerdings erregt dort der aus Pommern anreisende Maler Philipp Otto Runge
Anstoß, weil er mit dem plattdeutschen Märchen »Von dem Fischer un sine Fru«
für Streit sorgt, der bis heute anhält, weil an allem der Mann, immer der
Mann...
    Dann
aber fiel Jacob ein, was bei Matthäus steht: »selig sind die da geistlich arm
sind«, die Armseligen. Und bei Hans Sachs, rief ihm Erinnerung zu, trat die
Armut sogar als Person auf: »hierin wohnt fraw armut leider.«
    Zu
Dahlmann gewendet, der mit seinen Gedanken woanders sein mochte, hob er die
innere Wortsuche auf: »Sehen Sie nur, bester Freund, so viel Armut. Welch
unbeschreibliche Armut!«
    Gleich
darauf aber wurde ihm des verlorenen Paradieses Kehrseite, die mit der Armut
Arm in Arm gehende Arbeit wichtig und mit ihr alles, was sie an Wörtern mit
sich schleppt: die Mühsal, den Fleiß, die Ausdauer bei kärglichem Lohn. Von
nichts anderem war sein Leben bisher bestimmt, aber auch abhängig gewesen.
Deshalb sagte er, als Abschied genommen werden mußte, zu Dahlmann und Gervinus,
die weiterzogen, weil ihnen Kurhessen kein Asyl gewährte: »Was uns bleibt, ist
die Arbeit.«
    So
kann nicht verwundern, daß ihn, kaum war er in Ludwig Emils, seines malenden
Bruders gemieteter Wohnung im Haus an der Schönen Aussicht Nummer 7 ansässig
geworden - doch nunmehr seiner Bücher entblößt und arbeitslos -, ein Angebot
verlockte, das vorerst aberwitzig, dann jedoch einzigartig anmutete: im Namen
der Weidmannschen Buchhandlung zu Leipzig schlugen die Verleger Karl Reimer und
Salomon Hirzel ihm und seinem Bruder handschriftlich vor, ein neues großes
Wörterbuch der deutschen Sprache abzufassen, um, wie sich Jacob rückblickend erinnert,
»die unfreiwillige Muße auszufüllen«.
    Welch
ein Antrag! Eine Sternstunde im Verlagswesen. Und welch ein Verlegerpaar,
ebenbürtig den Brüdern. Hätten sie ahnen können, daß etwas beginnen sollte,
dem kein Ende abzusehen war? Wörterhalden, aufgeschüttet und abgelagert. Nun
galt es, sie abzutragen. Zu zweit, allein? Oder mit allseits angebotener Hilfe?
    Um
das Angebot zu stützen, besuchte Reimer, begleitet von dem Philologen Moriz
Haupt, der den Anstoß zu dieser Reise gegeben hatte, Jacob in Kassel. Als er
davon nach Göttingen Bericht gibt, antwortet Wilhelm am 2. April 1838: »Eben
kommt dein Brief, lieber Jacob, mit der Nachricht von dem
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