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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter
Autoren: Grimms Woerter
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hatten, wirkten irritierend, überdies Sorgen um den Bruder Ferdinand, der von
schwachem Charakter war, ständig begonnene Arbeit abbrach, stets in Geldnot
steckte und aus nur spärlich gefüllter Haushaltskasse unterstützt werden
mußte.
    Weil
aber die neuen Lebensumstände, bevor der Verleger Reimer zu zahlen begann,
allzusehr drückten, zehrten die Brüder von Spenden, die zu Gunsten der
»Göttinger Sieben« gesammelt wurden. Das bekümmerte Wilhelm mehr als Jacob,
dem es nun unablässig aus der Feder floß. Als Ausgewiesener fand er mit Hilfe
der Wörter Asyl und Armut, die ihm seit der Kutschenfahrt über die Werrabrücke
im Ohr waren, zum Anfangsbuchstaben des Alphabets, indem er seinen ersten
Artikel, der aber erst nach vielen Jahren zweieinhalb Spalten lang gedruckt
vorliegen sollte, dem Stichwort Arbeit andiente - vielleicht in Vorahnung kommender
Mühsal. Worauf er zwei weitere Spalten der Tätigkeit arbeiten widmete.
     
    Welch
anderes Wort sonst? Sein Leben ergibt sich aus Arbeit. Alles muß nach Ursprung
und Wandel befragt werden. Ihm genügen nicht die gotischen Nachweise arbaits
und arbaidjan. Das polnische rabota und das lateinische labor werden in die
Spalte gerückt. Er weist darauf hin, daß Arbeit ursprünglich nur auf dem Knecht
lastende war, so beim Ackerbau. Er zitiert Moses: »und die kinder Israel
sufzeten über ire erbeit«, denn Luther sagt als Bibelübersetzer noch erbeit
für Arbeit. Dann findet er heraus, daß, »seitdem die thätigkeit der menschen
unknechtischer und freier wurde«, sich das Stichwort »auf leichtere und edle
geschähe« ausgedehnt habe. Bald ist Arbeit »das gearbeitete, das zu
arbeitende«. Er zählt auf, was Handwerker, Tagelöhner tun, kommt auf allerlei
künstliche Arbeit, solche »in elfenbein«, ist nun bei der Kopfarbeit, der geistigen,
der gelehrten, also bei sich und seinem Tintenfleiß. Arbeit kann süß sein oder,
wie Goethe bei der Besteigung des Vesuv stöhnt, als »sauere arbeit« gewertet
werden. Sogar die Natur arbeitet, was er mit einem Zitat belegt: wie man sie
auch kreißen und gebären läßt, »das tobende meer, die wellen sind in arbeit«,
wie sich gärende Stoffe, der Wein, das Bier in Arbeit befinden.
    Und
weitere Arbeitsfelder, bis der Artikel geschlossen war und mit dem Psalm, laut
Luther, trösten durfte: »unser leben wehret siebenzig jar, und wenns köstlich
gewesen ist, so ists mühe und erbeit gewesen.«
     
    Dem
will ich, der ich nunmehr das achtzigste Jahr hinter mir habe, aber noch immer
den Anschein erwecke, ausreichend bei Kräften zu sein, freudig beipflichten,
zumal das Abarbeiten kein Ende finden will. Selbst altherkömmliche Geschichten
wollen aufs Neue erzählt werden. Immer war was. Zu aller Zeit fing etwas an.
Und nach jeweiligem Schlußpunkt war mir weitere Arbeit gewiß bis heutigentags.
    Oft
sind es verjährte Anlässe, die sich verkapselt hatten, dann aufbrechen und mich
antreiben, meinen Faden zu spinnen. Diesmal hat mir Jacob Grimm, der nunmehr im
Lichtkegel einer nicht mehr qualmenden Leselampe hockt, mit einschlägigen
Artikeln auf die Sprünge geholfen. Mir ist, als müßte ich aus der Asche lesen.
Zusätzliche Wörter wie Arbeitsamt, neuerdings Arbeitsagentur, Arbeitgeber und
folgerichtig arbeitslos rufen einerseits jugendliche Erfahrung in Erinnerung,
als gegen Kriegsende beim Reichsarbeitsdienst der Spaten als Arbeitsgerät im
Verlauf militärischer Ausbildung vom Karabiner 98 abgelöst wurde, und bringen
mir andererseits meine aus Bürgersinn nicht endenwollende Tätigkeit in der
politisch betriebenen Tretmühle nahe.
    Was
abzuarbeiten war: die Ausbeutung der Arbeiterklasse, Akkordarbeit und Angst um
den Arbeitsplatz, die Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung, August
Bebel, der Drechslermeister und dessen Reichstagsreden, die seines Widersachers
Bismarck, die Drangsal der Sozialistengesetze, der andauernde Revisionismusstreit,
Aufstieg und Niedergang, schändlich Noske, standhaft Otto Wels. Was noch: der
Arbeiteraufstand dreiundfünfzig, die Baustelle Stalinallee. Parteiprogramme
von Gotha über Erfurt bis Godesberg, wo, wie es hieß, endlich Eduard Bernstein
siegte. Drauf immer wieder die totschlägerische Anklage: »Wer hat uns verraten,
Sozialdemokraten!« Und was sonst noch die Söhne aus zu gutem Haus den
Arbeitervertretern ins Gesicht schrien. Wer alles abtrünnig wurde, nach weit
links abdriftete und ganz rechts wieder rauskam. Meine Wahlkampfreisen in den
Jahren fünfundsechzig und
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