Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Titel: Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
Vom Netzwerk:
ihres Gatten blieb Frau Traunich nur noch die Nennung ihres Vornamens. Sie hieß Almuth.
    Mein Blick fiel auf den nächsten in der Runde. Der ältere Mann hatte einen Charakterkopf mit silbernem Haar, das an den Stellen, an denen es noch spross, schlohweiß und lockig war. Die Stirn lag hoch und war von waagerechten Linien durchfurcht. Die Augenbrauen waren schwarz und buschig nach oben gekämmt. Klar und deutlich stellte er sich vor: »Dr. Waldemar A. Unbill. Das ›A‹ steht für Agamemnon. Ich bin pensionierter Oberstudiendirektor, Lehrer für Geschichte und Deutsch.«
    Nach dem Kurztelegramm folgte eine Aufzählung von Büchern, an denen er mitgearbeitet hatte. Bleierne Müdigkeit wollte sich am Tisch breit machen, als er sagte: »Übrigens bin ich Mitglied des Kuratoriums, das für das archäologische Privatmuseum in der Landeshauptstadt zuständig ist.«
    Drei Menschen am Tisch waren plötzlich ganz Ohr: Daphne, ich und Kondis, der bleich wurde. Seine Hand verkrampfte sich um den rot-weiß-karierten Tischtuchzipfel. Es schien mir, als wolle er etwas sagen, doch seine Stimme versagte. Nach einigen Sekunden hatte er sich wieder in der Gewalt.
    Ich überlegte, was diese Konstellation für die Reise bedeuten könnte, kam aber zu keinem Ergebnis. Unbill hatte also mit dafür gesorgt, dass Kondis mit Schimpf und Schande seine Museumsleitung abgeben musste. Warum nahm Unbill an der Reise teil?
    »Das ist mein Sohn«, redete Unbill weiter, »er heißt Ajax, ist 35 Jahre alt und studiert. So etwa im 30. Semester, nicht wahr, mein Lieber?«
    Ajax Unbill wurde rot und blieb schweigsam. Alle starrten ihn an. Er hatte dünnes Haar, die hohe Stirn seines Vaters und einen kleinen Schnurrbart, der sich im Gesicht zu behaupten versuchte.
    »Waren Sie schon mal in Griechenland?«, fragte ich.
    »D… d… doch!«, stotterte er.
    »Ajax hat die klassische Bildung sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen«, meinte sein Vater, »sein Urgroßvater hat mit Heinrich Schliemann Mykene und Troja ausgegraben. Ajax hat als kleiner Junge mit antiken Terrakotten statt mit Plastikförmchen gespielt.«
    Deshalb stottert er wohl, der arme Hund, dachte ich. Die beiden waren ein typischer Fall von Vater-Sohn-Konflikt.
    »Können Sie verstehen, warum jemand seinen Sohn nach einem Scheuermittel benennt?«, flüsterte mir Martha Maus ins Ohr.
    »Vielleicht hat ihm Ata nicht so gut gefallen«, lachte ich.
    »Und nun als Letzte unsere Frau Maus!« Kondis' Stimme war wieder ruhig und heiter. Die alte Dame war 66 Jahre alt und hatte zu Jugendzeiten in einer Kleiderfabrik gearbeitet. Nach der Geburt der Kinder, es waren ihrer zwei, hatte sie als Putzfrau gejobbt. Ihr Mann war längst gestorben, die Kinder aus dem Haus. Und jetzt diese wunderbare Reise, auf der sie die Heldengeschichten nachzuerleben hoffte, die sie schon als kleines Mädchen atemlos gemacht hatten.
    Martha Maus war auch jetzt atemlos und nahm einen Schluck Wasser. Die Vorstellungsrunde war vorüber.
    Ein Kellner schleppte ein Riesentablett mit gegrillten Fleischbrocken heran. Kondis erklärte die Gerichte. Lammnieren, gefüllte Därme, marinierte Leber, Fleischbällchen und Gyros.
    Teller mit Oliven wurden auf den Tisch gestellt, daneben Schafskäse und Salat. Die Pommes frites waren von grober Hand geschnitzt, und aus dem Tzaitsiki strömten Knoblauchwolken.
    »Wer möchte Retsina?«, fragte Daphne Laurenz. Niemand sagte nein. Die Kellner schleppten die Weinkrüge heran.
    Ich hatte diesen Wein noch nie getrunken, sondern nur über ihn gelesen. Er wird mit Harz versetzt, um ihn haltbarer zu machen. Angeblich haben die alten Griechen diese Unart kreiert. Der Tropfen schmeckte, als habe jemand eine Pulle Nagellackentferner hineingekippt. Ich stieg wieder auf Wasser um und schnappte mir einige Fleischbällchen.
    Die Sonne brach durch die Kiefer über mir und brannte mir eins auf die Nase. Morgen würde ich den ersten Sommersprossen »Hallo« sagen können.

Sehnsucht und ein Nichtangriffspakt
    »Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muss man vor allem ein Schaf sein.« Dies ist ein Ausspruch von Albert Einstein. Als unsere Reisegruppe im Hotel in Delphi angekommen war, verstand ich den tieferen Sinn dieses Satzes. Wie brave Schafe standen wir alle vor der Rezeption und warteten, bis sich Jason Kondis mit dem Hotelbesitzer über die Zimmerbelegung geeinigt hatte. Meine Entwicklung zum Schaf machte mir Sorge. In Gruppen fühlte ich mich nicht wohl, bisher hatte ich mein Leben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher