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Granger Ann - Varady - 03

Titel: Granger Ann - Varady - 03
Autoren: Die wahren Bilder seiner Furcht
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ich war nicht sicher, ob dies der Fall war. So clever konnte sie gar nicht gewesen sein. Ich schätzte eher, dass
sie erst seit kurzer Zeit süchtig war. Ein wenig verspätet fiel
mir ein, dass sie tatsächlich nicht zu den Cleveren gehört
hatte. Naiv vielleicht und ein wenig unterbelichtet, so war
sie mir erschienen.
»Ja, Fran«, sagte sie schließlich. Ihre Augen glitten zur
Seite, an mir vorbei. Ich erinnerte mich an ihre Augen, wie
sie gewesen waren, hell, voll Gutmütigkeit. Jetzt waren ihre
Blicke stumpf und hart. »Haben Sie vielleicht ein wenig
Kleingeld, Ma’am?«, bettelte sie eine mütterliche Frau mit
einer voll gestopften Plastiktüte an. Die Frau betrachtete Tig
besorgt und gab ihr zwanzig Pence. Tig steckte die Münzen
in die Tasche.
»Wie geht’s denn so?«, fragte ich. Sie schien ganz gut im
Betteln zu sein, doch sie war von einer Aura stiller Verzweiflung umgeben, die mich misstrauisch machte, denn wenn
sie dieses Stadium erst erreicht haben, ist es bis zum endgültigen Ausflippen nicht mehr weit.
»Ganz gut«, antwortete sie. Ihr Blick ging erneut an mir
vorbei, nervös diesmal.
Ich hatte noch zwei Pfund von meinem Fünfer übrig, und
ich gab ihr eines davon. Sie blickte mich zuerst überrascht,
dann misstrauisch an.
»Keine Sorge«, sagte ich. »Ich hatte ein wenig Glück.«
Bei diesen Worten wallte Elend in ihren Gesichtszügen
auf, nur um sogleich wieder zu verschwinden. Das Glück
hatte sie schon lange verlassen. Sie erwartete keines mehr.
Doch auf der Straße verbarg man seine Gefühle. Sie machten einen verwundbar, und Gott weiß, man war schon verwundbar genug ohne den Feind da draußen.
»Schön für dich«, sagte sie gehässig und steckte die
Pfundmünze zu dem anderen Geld in ihrer Tasche.
Ich blieb nichtsdestotrotz hartnäckig – die Erinnerung an
die alte Tig brachte mich dazu. »Hast du gehört, was mit
unserem Haus in der Jubilee Street passiert ist? Sie haben es
abgerissen.«
»Ja, hab ich gehört. Es wäre sowieso früher oder später
eingestürzt.«
Das tat weh. Ich hatte dieses Haus gemocht, und es hatte
nicht nur mir, sondern auch ihr für eine Zeit lang Schutz
geboten. Sie sollte nicht so über dieses Haus reden.
»Es war ein gutes Haus!«, sagte ich grob.
»Hör zu«, sagte Tig, »du bist hier wirklich im Weg, weißt
du? Wie soll ich die Leute um ihr verdammtes Kleingeld anhauen, während du hier rumstehst und mich die ganze Zeit
mit irgendwelchem Mist voll quatschst?« Ihre Stimme klang
aggressiv, doch ihre Augen zuckten erneut nervös an mir
vorbei. »Verschwinde endlich, Fran. Verpiss dich!«
Ich verstand. »Hier«, sagte ich und gab ihr meinen MarsRiegel. Sie hatte ihn dringender nötig als ich.
Sie riss mir den Riegel förmlich aus der Hand, und ich
ging davon, ohne mich noch einmal umzusehen. Ich war zu
beschäftigt, nach jemand anderem Ausschau zu halten, und
tatsächlich, ich entdeckte ihn fast augenblicklich. Es war ein
großer, bärtiger Kerl, Mitte zwanzig, und er trug eine karierte Wolljacke, Jeans und einen Filzhut. Er lungerte in einer
Ecke, die von einem vorspringenden Haus gebildet wurde,
im Schutz eines überhängenden Balkons im ersten Stock.
Dort war er im Trocknen und vor Zugluft geschützt. Die
kleine Ecke war in der Nacht bestimmt ein herrlicher Platz
für einen Räuber, und ich hätte ihn nicht gesehen, hätte ich
nicht nach ihm Ausschau gehalten. Er war kein Räuber,
ganz bestimmt nicht. Er war unter anderem Tigs Beschützer.
Ich kannte diese Straßenpartnerschaften von früheren
Begebenheiten, und soweit es mich betraf, waren die Frauen
in ihnen kaum besser dran als ohne sie. Verstehen Sie mich
nicht falsch, ich kenne ein paar richtig gute Partnerschaften,
die auf der Straße angefangen haben, aber sie halten nur selten für längere Zeit, selbst die guten. Tatsache ist, man darf
sich nicht von jemandem abhängig machen da draußen.
Man muss für sich alleine stehen, in der Lage sein, auf sich
aufzupassen und seine Probleme selbst zu lösen. Die Straße
ist in gewisser Weise wie eine Familie, aber eine Familie aus
Einzelgängern. Sobald man sich nicht mehr selbst behaupten kann, hat man verloren.
Trotzdem bilden sich immer wieder Paare, trennen sich,
finden neue Partner, genau wie in der Welt der ganz normalen Berufstätigen. Es gibt ganz gewöhnliche Mann/FrauPartnerschaften, aber es gibt auch die rein praktische Seite.
Tigs Kerl mochte ein Taugenichts sein, der sich in einer
warmen Ecke herumdrückte, während sie
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