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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy
Autoren: Theodor Fontane
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warten will und am dritten Tage schon nach Zahlung verlangt? Und wenn ich den Ausgang aus dem Wirrsal nicht finden kann oder wenigstens nicht den, der ins Lichte führt, wer ist schuld? Wer? Ich, ich allein. An mir ist es, die Konsequenzen eines falschen Exempels auf mich zu nehmen, und ich will es und werd es.«
    So stürmten Fragen und Betrachtungen auf ihn ein, aber nach einer Weile fuhr er ruhiger fort: »Eine der lästigsten Erscheinungen in Leben und Gesellschaft ist mir immer der Störenfried gewesen; ich mag seine Rolle nicht spielen. Und zudem, was ist der einzelne? Nichts. Und nun gar der einzelne, wenn er gelebt hat und seine Tage hinter ihm liegen. Es kann auch ein Glück sein, ein letztes und höchstes, dem Glück an derer die Wege zu bereiten.«
    Er rief Andras, ließ sich ankleiden und ging in die Stadt, um inmitten ihres bunten Treibens den Tag zu verbringen. Er freute sich an allem und war in der Stimmung wie jemand, der aus einer schönen Gegend scheidet und im Abschiede sich das Bild derselben noch einmal fest und warm ins Herz prägen will. Er sah in Sankt Stephan hinein, wo man eben ein Hochamt zelebrierte, ging dann den Kohlmarkt hinunter und trat in die Kirche der Augustiner, zu der das Haus Petöfy von alter Zeit her hielt. Ein paar Lichter brannten, ein Wispern und Murmeln ging, und er sah still auf die Stelle vor dem Altar und gedachte des Tages, des Tages seiner Vermählung, an dem er das letzte Mal hier gestanden hatte. Dann verließ er die Kirche wieder, nahm sein Diner, las eine Zeitung und vergnügte sich eine Weile vor der »Burg«, wo die Vorstellung eben begonnen haben mußte. Danach ging er wieder auf sein Palais zu, denn die Stunde war nahe, wo man sich bei Schwester Judith zu versammeln pflegte.
    Wirklich, Franziska war da. Sie saß neben Feßler und plauderte mit ihm in jenem neckischen Tone, der von ihrer ersten Begegnung an zwischen ihnen beibehalten war und namentlich dem Pater ein ersichtliches Behagen weckte. Zur andern Seite hatte Graf Pejevics Platz genommen, und nur Egon fehlte, was Feßler veranlaßte, nach dem »Jüngstverwundeten der kaiserlichen Armee« zu fragen, aber zugleich auch nach dem »mitlädierten Inkulpaten, dem kleinen Ringe« – Fragen, an die sich dann wie von selbst ein Gespräch über Ringe und Ringinschriften anschloß, zu dem jeder nach Kräften, am meisten aber Graf Pejevics beisteuerte, der ein Numismatiker war und durch allerlei Kuriositäten und Niedlichkeiten überraschte. Nur Feßler hatte geschwiegen, bis er zuletzt, nach seiner Lieblingsdevise befragt, unter Lächeln bemerkte, daß es sonderbarerweise der Ring- oder Petschaftsspruch eines Protestanten sei, der ihm unter allem, was er auf diesem Gebiete kenne, den nachhaltigsten Eindruck gemacht habe.
    »Eines Protestanten?« fragte Judith neugierig. »Wessen?«
    »Thomas Carlyles.«
    »Und der Spruch selbst?«
    »Entsage!«
    Niemand antwortete. Nur Franziska sagte: »Wie schön!«
    Und eine momentane Stille folgte.
    »Kannst du's?« fragte der alte Graf leise, während er sich zu Franziska niederbeugte.
    Sie sah eine Weile vor sich hin. Dann hob sie das Auge wieder und sah ihn still und ruhig an, und etwas wie Wehmut und Bitte lag in ihrem Blick.
     
Vierunddreißigstes Kapitel
     
    Er war durch diesen Blick entwaffnet, zugleich in seinem Herzen bewegt und nahm Franziskas Hand und küßte sie, dann rasch aufbrechend, sprach er von Briefen, die noch zu schreiben seien, und ging in den andern Flügel hinüber. Hier nahm er an seinem Schreibtisch Platz, erhob sich aber bald wieder, um auf und ab schreitend erst ruhiger in seinem Gemüte zu werden.
    »Es war ein Bekenntnis, wie sie mich so ansah und mit ihren klugen Augen ihr zu verzeihen bat. Aber was soll ich ihr verzeihen? Immer die törichte alte Frage. Nichts, nichts. Während ich sie beständig warnte, das Leben nicht als Märchen zu nehmen, hatt ich mir doch meinerseits ein Märchen ausgedacht, und ihr guter Wille, mir zu Willen zu sein, bestärkte mich in dem Glauben an eine Märchenmöglichkeit. Ja, ihr guter Wille, mir zu Willen zu sein! Das war es; sie hat mich einfach verwöhnt. Hätte sie mir von Anfang an gesagt: ›Aber eines muß sein, Petöfy, darauf dring ich; wir bleiben in Wien, unter Menschen, und ich vergrabe mich nicht in eine Schloßeinsamkeit; ich muß Verehrer und Anbeter um mich haben, die mir schöne Dinge sagen und die mich heut in das Konzert und morgen in die Oper begleiten‹ – ja, hätte sie sich von Anfang an
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