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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy
Autoren: Theodor Fontane
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sieht.«
    Und damit kehrte das Gespräch auf allerlei Theaterdinge zurück.
     
Dreiunddreißigstes Kapitel
     
    Er sah nun klar, und nur in dem einen sah er nicht klar, was zu tun sei. Sollte er sich den lächerlichen Herzog zum Muster nehmen, über den Judith in ihrem einfachen Ausspruch: »Ich find es aber doch übertrieben«, erbarmungslos zu Gericht gesessen hatte? Nein, es ging nicht. Und überhaupt, was war denn geschehen? Es war nur geschehen, was geschehen mußte. War er nicht allezeit so stolz gewesen auf seine Kenntnis von Welt und Menschen, vor allem auch auf sein Freisein von Vorurteilen in dem, was er den natürlichen Gang der Dinge nannte? Was gab ihm jetzt ein Recht zu der Annahme, daß ihm zuliebe dieser natürliche Gang der Dinge sich in sein Gegenteil verkehren werde?
    In solche Betrachtungen vertieft, die beständig zu Selbstanklagen wurden, schritt er, als er von Schwester Judith in den andern Flügel zurückgekehrt war, auf dem Teppich seines Zimmers auf und ab. Er öffnete das Fenster und sah, während ein gedämpfter Lärm von der innern Stadt her herüberscholl, auf die stille Straße hinunter. Ein offener Wagen, in dem ein junges Paar saß, rollte vorüber, und das Licht der Gaslaterne fiel auf eine zarte Gestalt, Mädchen oder Frau, die sich müd und glücklich an die Schulter des Geliebten lehnte.
    »Sie sind jung und lieben einander. Und das ist das Natürliche. Narr, der ich war, als ich mir ein Etwas ausdachte, das halb von der Sultanin Scheherezade, aber halb auch von der heiligen Elisabeth abstammen sollte; Dame von Welt, aber auch Nonne, weiblicher Esprit fort, aber in Klausur. Im Einfachsten hab ich mich verrechnet... Es gibt wohl Vögelchen, die winterlang das Bauer nicht verlassen und nicht fortfliegen, auch wenn ihre Gefängnistür offensteht. Gewiß. Aber wenn der Frühling gekommen ist und es draußen lockt und ruft, dann regt sich's doch, dann siegt doch der Hang und Drang im Herzen, und frei sein in der Luft hoch oben und sich jagen und schwingen und zwitschern, das ist dann mehr. Ich wußt es wohl, aber ich vergaß es, weil ich's vergessen wollte.«
    So sprach er vor sich hin und trat dann vom Fenster her wieder an seinen Arbeitstisch zurück, auf dem in geschnitztem Rahmen eine Photographie Franziskas stand. Er nahm sie von der kleinen Staffelei. »Das war damals, als wir in Riva waren; ich entsinne mich noch des Tages. Und wie klug und ruhig sie mich anblickt.
    Aber darf sie's nicht?« unterbrach er sich plötzlich, und unter ihrem ruhigen Blicke schien ihm selber etwas wie Ruhe wiederzukommen. »Was weiß ich am Ende? Was hab ich in Händen? Ich habe nichts als den Ring, auf den hin ich den Schwiegersohn des alten Brabantio spielen könnte. Soll ich's? Soll ich aus der Taschentuch- eine Ringszene machen und ihr statt des entsetzlichen ›the handkerchief‹ das etwas besser klingende ›the ring, the ring‹ zurufen? Es gibt hundert Ringe, hunderttausend, und der Boden, auf dem ich steh, ist recht eigentlich der Fruchtboden aller bösen Einbildungen.«
    Und so fuhr er fort, seinen Verdacht geflissentlich einzulullen und alles, was ihm eben noch als Beweis gegolten hatte, wieder wegzubeweisen.
    In aller Frühe war er auf und fand sich pünktlich um neun Uhr beim Frühstück ein; aber Franziska fehlte noch, und statt ihrer erschien Hannah und meldete: die Gräfin ließe sich entschuldigen, auch für den Tag; aber zum Tee werde sie drüben bei Gräfin Judith sein und hoffe den Grafen dort zu treffen.
    »Was ist es, Hannah?«
    »Ein Fieber. Sie hat kein Auge zugetan.«
    »Ein Fieber. Ist das alles? Ich finde die Gräfin seit kurzem so verändert. Was meinst du?«
    »Verändert? Vielleicht... Ich weiß es nicht...«
    »Ich weiß es nicht«, wiederholte der Graf, als Hannah gegangen war. Und damit brach alles, was er mühsam von sich wegbewiesen hatte, wieder über ihn herein und ließ sein ganzes Trostgebäude zusammenstürzen. »Ich weiß es nicht. Wahrlich, es klang fast, als ob ich Franziska selber darum befragen solle. Soll ich es? Sie würde sich mir unterwerfen und nichts leugnen und ihre Schuld auf sich nehmen... Aber ach, was schwatz ich nur! Ihre Schuld? Schuld, Schuld! Daß das häßlich anmaßliche Wort mir immer wieder auf die Lippe tritt, daß ich es nur zu denken wage! Hab ich ihr nicht selber im voraus den Ablaßzettel in die Hand gegeben? Bin ich nicht das Kind, das etwas wiederfordert, das es zuvor weggeschenkt hat? Bin ich nicht der Gläubiger, der bis Ultimo
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