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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle
Autoren: Marie Cordonnier
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Schleiern. Sie verzerrten die Schatten der glühenden Balken zu gespenstisch mahnenden Fingern und beleuchteten eine wüste Szenerie von Vernichtung und Tod. Graciana blieb stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gerannt.
    Die plötzliche Stille hatte sie dazu verführt, ihr sicheres Versteck in der Nische des steinernen Glockenturms aufzugeben, das sie im letzten Moment noch erreicht hatte. Ein Fehler, denn es war nicht die Ruhe eines menschenleeren Schlachtfeldes. Es war das kurze Atemholen zwischen Mord und Verderben. Viel zu spät sah sie die Männer, die durch das zerstörte Tor strömten, die das brennende Wohnhaus des Klosters plünderten und auf der Suche nach dem Kirchenschatz auf das bescheidene Gotteshaus zuliefen. Plötzlich drangen wieder Flüche, Waffenklirren und das Weinen verzweifelter Frauen an ihr Ohr.
    »Treibt sie zusammen!«, brüllte vor dem Haupthaus eine wütende Stimme. »Vorwärts! Bringt nicht alle um, vielleicht sind ein paar ganz ansehnliche Dinger unter diesen Kuttenträgerinnen!«
    Es war weniger der Inhalt dieser Worte als das gemeine Lachen, das sie begleitete, welches Gracianas Schock in Verzweiflung wandelte. Sie erstickte ihren Aufschrei mit der eigenen Hand und sah sich ratlos im Schein des Brandes nach einer Fluchtmöglichkeit um.
    Unmöglich, jetzt die Pforte im Garten zu erreichen. Das Kloster war zum Sammelpunkt aller Dämonen der Hölle geworden.
    »Habt Mitleid, ich bitte Euch!«
    »Halt’s Maul, Alte!«
    Ein erbärmliches Grüppchen schluchzender Frauen, die sich gegenseitig stützten, taumelte aus dem Gotteshaus. Bewaffnete Männer stießen sie rücksichtslos nach draußen. Graciana erkannte Schwester Berthe unter ihnen. Auch Schwester Adela, deren feine Hände die reinsten Zauberwerke mit Sticknadel und farbigem Garn vollbrachten. Schwester Petronille, die Pförtnerin, hatte eine blutende Schramme quer über der Stirn, und Schwester Maria, unter deren strenger Obhut sie schreiben und lesen gelernt hatte, schleppte sich mit letzten Kräften dahin.
    Wo waren die anderen, die mit ihnen vor dem Altar gebetet hatten? Graciana versuchte in der rot glühenden Dunkelheit dieser schrecklichen Nacht Einzelheiten zu erkennen. Die meisten der Nonnen kannte sie ein Leben lang. Gütige und weniger gütige Seelen waren unter ihnen, und das mutterlose Waisenkind hatte sie bisher für seine einzige Familie gehalten.
    »Schau an, wen haben wir denn da?«
    »Wa ...«
    Gracianas Schrei erstarb. Eine schwielige, ekelerregende Hand legte sich über ihren Mund, und kaltes Entsetzen lähmte die junge Frau so sehr, dass sie sich nicht einmal wehrte, als sie mitten in den Hof gezerrt wurde, wo ein bulliger Kerl im zerbeulten Harnisch wütende Befehle bellte. Ein Hieb zwischen die Schulterblätter warf sie in die Knie.
    »Noch eine, Hauptmann! So wohlgerundet, wie sie sich anfühlt, scheint es eine von den Jüngeren zu sein. Zeig dich, Schätzchen, damit wir unsere Beute betrachten können!«
    Ein grober Ruck fegte ihr die Kapuze vom Kopf, und Graciana stieß einen Schmerzensschrei aus, weil ihr dabei auch ein paar Haare ausgerissen wurden.
    »Zum Henker ... ein hübscher Leckerbissen!«
    Der untersetzte Hauptmann beugte sich näher über das ovale, bleiche Gesicht, in dem zwei helle Augen brannten, welché die Farbe der Flammen zu haben schienen. Die dicken, fahlen Zöpfe, die in aller Eile geflochten worden waren, lösten sich bereits wieder und umgaben das Antlitz mit lebendigen, lichten Strähnen, die je nach dem Flackern des Feuers golden oder silbrig schimmerten.
    »Donnerwetter!«, brummte er zufrieden. »Das hast du gut gemacht, Cul Sec! Wolltest du etwa den Schleier nehmen, Mädchen? Du kannst uns dankbar sein, dass wir dich vor einem solchen dummen Irrtum bewahren! Bei uns wirst du dich sicher wohler fühlen!«
    Rohes Gelächter zeigte an, dass hinter diesen Worten ein Sinn stand, den Graciana nicht zu begreifen vermochte. Sie konnte ohnehin keine Antwort geben. Einen Arm schmerzhaft auf den Rücken verdreht, musste sie hilflos zappelnd die weitere demütigende Bestandsaufnahme über sich ergehen lassen. Cul Sec zerrte den Umhang vollends herab und enthüllte das flüchtig verschnürte Mieder, das von ihren Brüsten provozierend viel zeigte, weil sich Mutter Elissa nicht darum gekümmert hatte, dass sie überraschend üppig und voll für eine so schlanke Person waren.
    »Lasst sie in Frieden!«, mischte sich in diesem Moment Schwester Berthe empört ein. »Habt Ihr denn gar
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