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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle
Autoren: Marie Cordonnier
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Männer. Die letzten Laute von sterbenden Kriegern, von Pferden, die tödlich verletzt in höchster Qual wieherten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann das grässliche Gemetzel auch das ehrwürdige Kloster der heiligen Anna erreichte, das geschützt im Kiefernwald zwischen der Stadt und dem kleinen Meer lag.
    Die schmale Gestalt in der schlichten Kutte blieb lauschend mitten im Hof stehen, versuchte, trotz Mauern mehr von der Außenwelt zu erkennen, und wieder erhob sich ihr rebellischer Geist.
    Wozu hatte ihr Gott das Leben geschenkt, wenn sie es nur in diesem Mauergeviert verbringen durfte? Gegängelt von Glocken, die von früh bis spät ihren unnachgiebigen Ruf ertönen ließen. Den Ruf von Pflicht und Gebet, von Arbeit und Bescheidenheit. Von Schweigen und dem so schwer fallenden Gehorsam.
    Hastig bekreuzigte sie sich noch einmal und bat den Himmel um Vergebung für die aufrührerischen Gedanken. Sie hatte einen Auftrag. Mutter Elissa schätzte es nicht, wenn man sie warten ließ. Sie schlüpfte in die winzige Werkstatt, die sich ein wenig windschief an die Klostermauern drückte. Im normalen Alltag kümmerte sich Schwester Berthe hier um die Stiele der Hacken, die man für den Garten benötigte. Um neue Holzlöffel oder Schalen und um leichtere Reparaturen.
    Heute indes kniete Schwester Berthe mit den anderen Frauen zusammen vor dem Altar und betete in endloser Litanei um die Blindheit der Mächtigen. Um das Wunder, dass die Schlacht dort draußen das Kloster verschonte. Die Novizin vermochte nicht, in das Gebet einzustimmen. Je länger der Lärm dort unter freiem Firmament tobte, um so sinnloser erschien es ihr, passiv und fromm das eigene Schicksal nur im Gebet abzuwarten. Ihrem kritischen Geist schien solche Frömmigkeit gleichbedeutend mit gefährlicher Dummheit!
    Sie fand die gesuchten Werkzeuge in einem hölzernen Kasten und packte ihn mit seinem gesamten Inhalt, um ihn zu Mutter Elissa zu schleppen. Als sie zurück in die feuchte Düsternis der Krypta tauchte, musste sie ein Schaudern unterdrücken. Zwischen den Sarkophagen längst verwester, bedeutender Äbtissinnen kam sie sich noch fremder als sonst vor.
    »Geh zu den anderen und bete!«, befahl Mutter Elissa knapp. Sie ließ den hölzernen Kasten auf den Stein neben dem Kreuz fallen. »Und schick mir die Novizin Jorina, sobald du den ersten Rosenkranz beendet hast. Keinen Augenblick früher, hast du verstanden?«
    »Ja, Mutter Äbtissin!«, wisperte die junge Frau und lief hinauf in die kleine Kirche, die wie das gesamte Kloster aus Granitsteinen erbaut worden war und in ihrer schmucklosen Schlichtheit bewies, wie arm die Nonnen dieses Klosters waren.
    Für wie arm sie sich gehalten hatten, korrigierte die Novizin, während sie das schmale Antlitz über die gefalteten Hände neigte. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet in diesen Mauern ein Schatz verborgen lag, um den sich Sagen und Legenden rankten?
    Aus den Augenwinkeln verfolgte sie neugierig das Kommen und Gehen zur Krypta, nachdem sie Jorina zur Mutter Äbtissin geschickt hatte. Sie kam nur zurück, um eine andere Novizin zu holen, ehe sie mit ihr gemeinsam verschwand. Am Ende war sie die einzige Klosterfrau unter den ununterbrochen betenden Nonnen, die noch nicht das endgültige Gelübde abgelegt hatte.
    Es war Ysobel Locronan, die ihr den Befehl der Äbtissin überbrachte, erneut in die Krypta zu kommen. Ysobel, die von ihrem schurkischen Bruder in das Kloster abgeschoben worden war, damit er ihre Mitgift an sich bringen konnte. Die stolze Ysobel, die auch noch nach Jahren gegen ihr Schicksal rebellierte und sich nicht damit abfinden konnte, dass sie ihr Leben mit endlosen Gebeten an die heilige Anna verbringen sollte. Jetzt verschwand sie in dem schmalen Seitenschiff, das die Sakristei barg. Dort brannten keine Kerzen, und die Dunkelheit verschluckte ihr Gewand.
    Die Novizin erhob sich von den schmerzenden Knien und schritt zögernd zum Eingang der Krypta. Es kam ihr vor, als sei der Lärm draußen lauter geworden. Als kämpften die Männer bereits vor den Mauern des Klosters. Würden sie den heiligen Ort respektieren?
    »Graciana?« Die Stimme der alten Abtissin klang unwillig von unten herauf. »Wo bleibst du, Mädchen? Hörst du nicht, dass wir keine Zeit mehr haben, die du vertrödeln könntest?!«
    Der ungerechte Vorwurf trieb der jungen Frau die Röte in die Stirn. Es war ohnehin schwer, Mutter Elissa etwas recht zu machen, aber heute schien es noch unmöglicher als sonst zu
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