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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle
Autoren: Marie Cordonnier
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gesagt?«, fragte sich Schwester Berthe verwirrt. »Sie hat mich bei meiner ewigen Seligkeit schwören lassen, dass ich die Vergangenheit für mich behalten werde. Warum jetzt wieder alles aufrühren?«
    »Vielleicht, weil ich ein Recht darauf habe, zu erfahren, wer ich bin!«, murrte Graciana in einem jener Anflüge von Trotz, die ihr bei den frommen Frauen schon so viele Schwierigkeiten bereitet hatten.
    »Die heilige Anna steh mir bei«, seufzte Schwester Berthe resigniert und sah den Männern nach, die den silbernen Altaraufsatz und das goldene Tabernakel davonschleppten. »Eine verlorene Seele bist du, mein armes Kind. Die Tochter des größten Mordbrenners, der die Bretagne je verwüstet hat, und eines armen Edelfräuleins, das er mit seiner Schurkerei in den Tod getrieben hat. Wenn du mich fragst, es wäre gnädiger gewesen, dir eine solche Wahrheit zu verschweigen. Aber Mutter Elissa hatte schon immer ihre eigene Art, die Dinge zu sehen ...«
    Ihre letzten Worte verloren sich in neuerlichem Lärm. Die ersten ausgeglühten Balken und Decken des Wohnhauses stürzten in einem Funkenregen zwischen das Viereck der rußgeschwärzten Granitmauern. Ein Söldner trieb die kleine Ziegenherde des Klosters und die Milchkühe zusammen, und die verstörten Tiere trugen das ihre zu den Missklängen des Schreckens bei.
    Graciana wünschte sich ihren Umhang zurück, über den die Männer dort achtlos hinwegtrampelten. Die Berührung der groben Wolle schien alles an Geborgenheit zu sein, was ihr das Leben zugestand. Sie kam sich schutzlos und ausgeliefert vor. Völlig unerwartet in eine Wirklichkeit gestoßen, die ihre Sinne jedem Empfinden viel zu intensiv auslieferte. Das Licht erschien ihr zu blendend, der Lärm zu grell, die Luft zu scharf vom Rauch.
    »Vorwärts, beweg dich, Schätzchen!«
    Ein roher Tritt riss sie aus ihrer Lähmung, und ehe sie begriff, was man von ihr wollte, wurden ihre Handgelenke von einem groben Seil umspannt und hochgerissen. Ein Kerl mit einer grässlich blut- und dreckverschmierten Visage fesselte die Frauen aneinander, ohne sich um ihre Schmerzensschreie zu kümmern.
    Nur wenige Herzschläge später stolperte Graciana hinter Schwester Berthe und den anderen zwischen toten Glaubensschwestern und zerstörten Mauern hindurch auf die Straße nach Auray. Unweit vor ihnen, dort, wo sich die Stadt hinter den Bäumen befand, glühte der Nachthimmel in gefährlichem Rot.
    »Gütiger Jesus, die Stadt brennt«, murmelte Graciana fassungslos.
    Einer der Söldner, die sich einen Spaß daraus machten, sie vorwärts zu stoßen, hörte es und lachte rau auf. »Was hast du erwartet? Gauklerspiele und Ritterturniere? Wir führen Krieg, Mädchen!«
    Die Frage riss Graciana für kurze Zeit aus ihrem schockierten Entsetzen. Was hatte sie erwartet? Sie suchte vergeblich nach einer Antwort, während sie fassungslos durch die Nacht taumelte. Sobald eine der betenden und stöhnenden Frauen ausrutschte, drohte sie die anderen mit sich zu reißen. Die rauen Hanfseile rissen an ihrer zarten Haut, und in den ungewohnten Holzschuhen fand sie kaum Halt.
    Wenn es etwas gab, das Graciana trotz allem verwunderte, dann war es höchstens die vage Frage, weshalb sich die Männer die Mühe machten, sich mit diesem jämmerlichen Trupp zu belasten. Weshalb hatte man sie nicht einfach an Ort und Stelle umgebracht?
    Je näher sie der Stadt kamen, um so mehr konnte man im allgemeinen Tumult einzelne Geräusche unterscheiden. Das Prasseln von Feuer, schrille Schreie gemarterter Menschen, Gebrüll, das Weinen der Kinder, klirrende Waffen und das unverkennbare Splittern eingeschlagener Türen. Durch den feuchten Nebel klang es bedrohlich nahe und gleichzeitig wie aus einer anderen Welt.
    »Was tun sie?«, fragte Graciana verwirrt und glaubte schon, dass ihr niemand antworten würde, als Schwester Berthe ächzte.
    »Gott sei den armen Seelen von Auray gnädig. Sie plündern die Stadt!«
    Graciana blinzelte verwirrt. Sie kannte nur das Leben in Sainte Anne d’Auray, und was sie dort gelernt hatte, war auf das Leben der Nonnen bezogen gewesen. Die Schrecken des Krieges waren ihr ebenso fremd und unverständlich wie die Blicke der Söldner, die sie auf sich fühlte.
    »Sie töten die Menschen?«, fragte sie.
    »Jene, die sie töten, haben das bessere Schicksal«, seufzte die Nonne. »Stelle keine Fragen, bete für sie und für uns auch ...«
    Im Gegensatz zu Graciana wusste sie, was die lüsternen Blicke und die obszönen Scherze bedeuteten.
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