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Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Titel: Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Autoren: Yang Jisheng
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abgetan als »üble Attacken« und »lügnerische Verleumdungen«.
    Um die öffentliche Weltmeinung umzudrehen, hat die chinesische Regierung ein paar »befreundete Persönlichkeiten« nach China eingeladen, in der Hoffnung, durch ihre Berichte »den wahren Sachverhalt zu klären«. Für diese Leute wurden von der Regierung umfangreiche Vorbereitungen getroffen: Sämtliche Reiserouten wurden sorgfältig festgelegt, samt den zu besuchenden Orten, den Kontakten mit der Bevölkerung und den Tischreden für die ausländischen Gäste und so weiter und so fort. Als diese ausländischen Gäste da waren, wurden sie von der einfachen Bevölkerung komplett abgeschirmt, mancherorts hat man ihnen bewusst etwas von Wohlstand und Zufriedenheit vorgespielt.
    Fang Shi, damals stellvertretender Leiter der Inlandsabteilung der Nachrichtenagentur Neues China, hat die Aufgabe übernommen, die Gäste auf ihrem Inspektionsbesuch nach Anhui zu begleiten. Er hat mir später erzählt, wie das Provinzkomitee von Anhui die ausländischen Gäste hinters Licht geführt hat. Und die so Getäuschten haben nach der Rückkehr in ihre Länder Artikel veröffentlicht, in denen sie »aus eigener Anschauung« die »gewaltigen Erfolge« Chinas priesen und behaupteten, in China könne keine Rede sein von einer Hungersnot, im Gegenteil, das Volk lebe in Wohlstand und Reichtum.
    Der englische Reporter Felix Green schreibt in seinem berühmten Chinabuch »A Curtain of Ignorance«, er habe 1960 überall eine strenge Getreidezuteilung beobachtet, nirgendwo aber habe er irgendetwas von Hunger in größerem Umfang gesehen.
    Edgar Snow, der amerikanische Journalist, den in China jedes Kind kennt, war einer derer, die, nachdem man sie selbst betrogen hatte, nun auch andere betrogen. Die Artikel der ausländischen Gäste wurden auch von der Nachrichtenagentur Neues China übersetzt, sie standen als Produkte des »Reimports« in den »Referenzmaterialien« und wurden zu einem Instrument, das Denken auf Linie zu bringen und abweichende Meinungen im Land zu unterdrücken.
    Erst über 20 Jahre später begannen einige ausländische Wissenschaftler und im Ausland reisende Chinesen die unerhörte Tragödie etwas bekannter zu machen und zu untersuchen. Diese Forschungen waren von sehr großem Wert. Aber die Forscher waren weit weg vom Ort des Geschehens und hatten keine Möglichkeit, das interne Material in chinesischen Archiven zu sichten, weshalb die Lektüre ihrer Untersuchungsergebnisse immer ein Gefühl von verlorener Liebesmüh’ hinterlässt.
    Seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts habe ich den Umstand, dass ich im ganzen Land recherchieren konnte, dafür genutzt, das entsprechende Material in den verschiedenen Gebieten im ganzen Land einzusehen und mit Menschen zu sprechen, die diese Jahre selbst erlebt haben. Vom hohen Norden bis in den tiefen Süden, vom Westen bis in den Osten Chinas habe ich das Material von mehr als einem Dutzend Provinzen gesichtet, ich habe mit über hundert Betroffenen gesprochen. In zehn Jahren mühevoller Kleinarbeit habe ich Zehntausende von Seiten Material gesammelt und über zehn dicke Bände mit den Aufzeichnungen von Gesprächen mit Betroffenen gefüllt. Ich habe schließlich ein relativ vollständiges und gründliches Bild von der wahren Situation der drei, vier Jahre, über die sich die Hungersnot hinzog, bekommen.
    Angesichts der schlimmen Folgen, die diese gewaltige Hungersnot nach sich zog, hat Liu Shaoqi einmal zu Mao Zedong gesagt: »Es sind so viele verhungert, wenn die Geschichte von uns beiden geschrieben wird, dann muss der Kannibalismus erwähnt werden!« [6]  
    Im Frühjahr 1962 hat Liu Shaoqi in einem Gespräch mit Deng Liqun noch einmal davon gesprochen, dass die »Hungersnot in den Geschichtsbüchern stehen muss« [7]   .
    Aber das alles ist nun schon über 40 Jahre her und in China gibt es bis heute kein solches Buch. Das ist nicht nur aus historischer Sicht bedauernswert, es ist auch gegenüber den Millionen unschuldiger Opfer unverzeihlich. Ich habe viele Jahre darauf verwandt und dieses Buch schließlich geschrieben. Es ist auch ein Grabmal für die Seelen der vielen Millionen verhungerten Menschen, und ich hoffe, es wird ihnen Trost spenden.
    Liu Shaoqi hat darüber hinaus einmal gesagt, diese Katastrophe müsse man in die Denkmäler einmeißeln, darüber müsse man Buch führen, »das muss man unseren Kindern und Kindeskindern weitergeben, damit solche Fehler in Zukunft nicht mehr gemacht
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