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Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Titel: Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Autoren: Yang Jisheng
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Kaderversammlung der Jugendliga ließ auch durchblicken, die beiden seien ideologisch reaktionär, man solle nicht wie sie ihren Weg des »weißen Spezialistentums« gehen.
    In meiner ganzen Zeit an der Qinghua war ich Parteigruppensekretär der Jugendliga, im Mai 1964 bin ich dann der KPCh beigetreten. Die Menschen damals hielten uns junge Leute für sehr einfach und rein. Und es stimmte auch, unsere »Einfachheit« bedeutete, dass wir nichts im Kopf hatten als das, was uns die Maschinerie der öffentlichen Meinung eingebläut hatte, wir glaubten alle das Gleiche; und unsere »Reinheit« bedeutete, dass wir neben dem, was uns die öffentliche Meinung eingetrichtert hatte, keinerlei eigenen Gedanken im Kopf hatten. Die Generation, die die KPCh unter ihrer neuen Regierung heranzog, bestand ausschließlich aus treuen Jüngern ihrer Staatsmacht. Wenn in diesen Jahrzehnten nichts Großes passiert wäre, wäre die Regierung stabil geblieben, und wir hätten unser Leben lang an unserem Glauben festgehalten.
    Es war die Kulturrevolution, während der ich zum ersten Mal große Veränderungen erlebte. In ihrer Anfangszeit hat mich die Situation, wie sie von Abertausenden von Wandzeitungen in der Universität enthüllt wurde, zutiefst schockiert: dass die alte Revolution, die ich so viele Jahre verehrt hatte, in ihrer Lebensrealität derart korrupt und ideell dermaßen auf den Hund gekommen war!
    Am 12. September 1966 habe ich mit einigen Studenten aus meiner Klasse mit über 20 Städten »Verbindung aufgenommen«, und wir erfuhren, dass die Wandzeitungen überall das Gleiche enthüllten: Korruption und Privilegien der hohen Beamten. Ich verlor mein blindes Vertrauen in die Autoritäten, in die hohe Beamtenschaft und in das, was in den Zeitungen stand. Ich begann an den Mythen zu zweifeln, die mir die KPCh so viele Jahre eingetrichtert hatte. Wie viele andere aus der breiten Masse habe ich mit dem Gedanken an Widerstand gegen die hohe Beamtenschaft an der Kulturrevolution teilgenommen.
    Während der Kulturrevolution hat dann Zhang Tixue, der Provinzgouverneur von Hubei, etwas gesagt, das mich zutiefst erschütterte: In den drei schlechten Jahren seien in der Provinz Hubei drei Millionen Menschen verhungert.
    Erst jetzt wurde mir klar, dass die Tragödie, die sich in meiner Familie abgespielt hatte, kein Einzelfall war!
    Nach meinem Abschluss an der Universität bin ich der Nachrichtenagentur Neues China zugeteilt worden. Die Journalisten beim Neuen China hatten Zugang zu gesellschaftlichen Schichten wie sonst niemand. Ich wusste nicht nur, dass in vielen Bereichen die wirkliche Lage mit dem, was in den Unterrichtsmaterialien zur Parteigeschichte stand, nicht übereinstimmte, ich habe auch die Armut der Arbeiter in den Städten gesehen. Als Reporter des Neuen China wusste ich darüber hinaus, wie die »Nachrichten« in den Zeitungen zustande kamen, wusste, wie die Nachrichtenorgane zum Sprachrohr der politischen Macht gemacht wurden.
    Nach Reform und Öffnung hat sich die Isolation des chinesischen Denkens im Vergleich zu früher beträchtlich gelockert. Einige historische Wahrheiten begannen sichtbar zu werden. In der Vergangenheit hatte uns die Partei gelehrt, im antijapanischen Krieg habe nur die KPCh gekämpft und die Guomindang habe immer nur kapituliert und Kompromisse geschlossen; erst jetzt erfuhren wir, dass die Guomindang die Hauptschlachtplätze im Krieg gegen Japan gehalten hatte und zwei ihrer Generäle für das Land gefallen waren.
    In der Vergangenheit hat die Partei uns weisgemacht, aufgrund von Naturkatastrophen sei es in einigen wenigen Gebieten zu Hungersnöten gekommen; jetzt erfuhren wir, dass allein infolge einer von Menschen verursachten Katastrophe zig Millionen Menschen verhungert waren. Ich begann zu begreifen, dass die Geschichte der KPCh und die chinesische Geschichte der letzten knapp hundert Jahre nach den Bedürfnissen der Kommunisten verzerrt und verfälscht worden waren.
    Wenn man einmal weiß, dass man in der Vergangenheit lange Zeit betrogen worden ist, dann entsteht daraus eine große Kraft, diese Täuschung abzuschütteln. Je mehr die Machthaber versuchen, die Tatsachen zu vertuschen, um so mehr zwingen sie uns, nach ihnen zu suchen. Ich habe nicht nur alles verschlungen, was an neuen historischen Materialien veröffentlicht wurde, ich habe auch bei meinen Nachrichtenrecherchen alles darangesetzt, die Wahrheit über die Vergangenheit zu erfahren. Ich habe die Zwischenfälle 1989 in Beijing
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