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Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Titel: Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Autoren: Yang Jisheng
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letzten Jahr bei der Ernte übersehen hatten, hatten im Frühjahr zarte Keime getrieben, größer als Sojabohnen; es hieß zwar, die seien giftig, die könne man nicht essen, aber die Leute hatten trotzdem alles restlos kahlgefressen). Ich grub und grub, ich hatte solche Gewissensbisse! Warum war ich nicht früher zurückgekommen und hatte nach wildem Gemüse gegraben, warum hatte ich mich nicht früher beurlauben lassen und war mit ein wenig Reis nach Hause gekommen?
    Aber Reue und Gewissensbisse halfen nichts. Ich kochte aus dem mitgebrachten Reis einen Brei, brachte ihn neben das Bett, aber mein Vater konnte schon nicht mehr schlucken. Drei Tage später haben wir uns für immer verabschiedet.
    Mit der Hilfe meiner Dorfgenossen habe ich Vater in aller Eile unter die Erde gebracht. Solange es ihm gut ging, habe ich nicht sonderlich auf ihn geachtet; jetzt lag er still unter der Erde und Bilder aus der Vergangenheit tauchten in meinem Kopf auf.
    Yang Xiushen, mein Vater, hieß mit Erwachsenennamen Yang Yupu, ein weiterer Name war Yang Hongyuan, er war 1889 geboren (im 15. Jahr der Regierungsdevise Guangxu des letzten Kaisers der Qing-Dynastie), am 6. Tag des 6. Monats nach dem Bauernkalender. Eigentlich war er mein Onkel und nur mein Ziehvater. Er hat mich großgezogen, seit ich drei Monate alt war, er und meine Mutter (meine Ziehmutter) waren besser zu mir, als wenn ich ihr eigenes Kind gewesen wäre, in unserem Ort war das schon Legende, wie ungewöhnlich vernarrt die beiden in mich waren.
    Später habe ich von Leuten aus dem Dorf erfahren, dass mich mein Vater bei Wind und Wetter über die kleinen Pfade der Gemeinde geschleppt hat, um nach Milch für mich zu suchen, deshalb kann man sagen, dass das halbe Dorf meine Amme gewesen ist. Einmal war ich schwer krank und bewusstlos, da hat Vater vor dem Schrein einen Kotau gemacht und blieb auf den Knien, bis ich wieder zu mir gekommen war. Obwohl wir sehr arm waren, haben sie alles getan, damit ich zur Schule gehen konnte. Was mein Benehmen anging, waren sie ausgesprochen streng.
    1950 hat die Gemeindeverwaltung von Mayuan, wo wir waren, häufig zu Versammlungen aufgerufen, in denen Grundbesitzer und böse Tyrannen bekämpft werden sollten. Einmal fand eine besonders große Versammlung am Dattelstachelberg statt und Vater nahm mich mit. Versammlungsort war ein abschüssiger Hang, an dessen Fuß provisorisch eine Bühne aufgebaut war. Der Hang stand voller Menschen. Der Himmel bebte von den Parolen, die Milizen mit ihren Gewehren auf der Schulter strahlten Wichtigkeit aus. Die Leute, die bekämpft werden sollten, wurden auf die Bühne gezerrt, sie waren aneinandergefesselt, und jedes Mal, wenn jemand seine Klage vorgebracht hatte, strömten die Leute zur Bühne und schlugen auf die Bekämpften ein. Wenn sie nach den Prügeln kein Lebenszeichen mehr von sich gaben, wurden sie den Hang hinaufgeschleppt und erschossen. Dieses Mal waren es 14 Leute. Ich bemerkte, dass Vater die ganze Zeit über kein Wort sagte. Als ich mit ein paar Spielkameraden vom Versammlungsplatz zurückkam, spielten wir »Bekämpft den Grundbesitzer«. Als Vater das sah, zerrte er mich unversehens ins Haus und versohlte mir kräftig den Hintern. Später habe ich ihn sagen hören, dass die Erschossenen nicht alles schlechte Menschen und dass die, die auf der Bühne auf sie eingeschlagen hätten, auch nicht alle Unschuldslämmer gewesen seien. Er hat mich dann nie wieder auf so eine Kampfversammlung mitgenommen.
    Nach dem Tod meiner Mutter 1951 waren mein Vater und ich allein aufeinander angewiesen. Ich war eine Weile zu Hause und konnte nicht zur Schule gehen. Er hat mich keine Bauernarbeit machen lassen, hat den einzigen Stuhl bei uns zu Hause freigeräumt und jeden Tag mein Lernen kontrolliert. Aber einmal hat er mich zur Ablieferung der Getreideabgabe mitgehen lassen, ich durfte sogar zwei kleine Beutel mit Rohreis tragen.
    Er sagte, früher hatten wir kein Feld, jetzt hat man uns ein Feld zugeteilt, die Ablieferung der Getreideabgabe ist eine wichtige Sache, das sollte ich miterleben. Allerdings konnte ich auf halbem Weg nicht mehr weiterlaufen. Also hat er mich samt meinen beiden Reisbeuteln auf die Tragestange gepackt und uns alle zusammen zur Getreidestation gebracht.
    Bei der Agrarreform hat man meiner Familie Felder für 600 Kilo Korn zugeteilt (das entspricht drei Mu). Wie war die Freude groß, als sie uns damals das Land zugewiesen haben, so klein ich war, ich teilte die Freude, aber es
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