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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille
Autoren: Tess Gerritsen
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hätte ich dem schon vor langer Zeit ein Ende machen können.«
    »Es hat jetzt ein Ende, Susan. Und Sie haben daran mitgewirkt.«
    Sie sah Jane an, und ihre Augen schimmerten feucht. »Nur ganz am Rande. Detective Ingersoll ist dafür gestorben. Und Sie sind diejenige, die es zum Abschluss gebracht hat.«
    Aber nicht allein, dachte Jane. Ich hatte Hilfe.
    »Mom?« Die Stimme des Mädchens drang aus der Dämmerung zu ihnen. Samantha stand hinter dem Fliegengitter, ihre schlanke Silhouette zeichnete sich vor dem Hintergrund des Sees ab, der im letzten Abendlicht glitzerte. »Dad sagt, ich soll dich holen kommen. Er ist sich nicht sicher, ob es schon Zeit ist, die Pastete aus dem Ofen zu nehmen.«
    »Ich komme, Schatz.« Susan stand auf. Während sie die Verandatür aufstieß, drehte sie sich noch einmal zu Jane um und lächelte. »Das Essen ist fertig. Kommen Sie einfach rüber, wenn Sie Hunger haben«, sagte sie. Dann trat sie ins Freie und ließ die Tür quietschend hinter sich zufallen.
    Von der Veranda aus sah Jane zu, wie Susan Samanthas Hand nahm. Zusammen gingen Mutter und Tochter am Ufer entlang, bis die Dämmerung sie verschluckte. Und die ganze Zeit hielten sie sich an den Händen.

39
    Drei Monate später
    Provinz Fujian, China
    Der süßliche Duft von Räucherwerk weht über den Hof, wo Bella und ich vor dem Grabmal der Vorfahren ihres Vaters stehen. Es ist ein uralter Friedhof. Seit mindestens tausend Jahren sind Generationen der Familie Wu hier beigesetzt worden, und nun ist Wu Weimins Asche vereint mit der seiner Vorväter. Seine geschundene Seele muss nicht länger in der Geisterwelt umherirren und nach Gerechtigkeit schreien. Hier wird er endlich für alle Zeiten in Frieden ruhen.
    Während die Schatten vorrücken und die Nacht hereinbricht, entzünden Bella und ich Kerzen und verbeugen uns zum Gedächtnis ihres Vaters. Plötzlich spüre ich, dass noch jemand zugegen ist, und als ich mich umblicke, sehe ich eine Gestalt durch das Friedhofstor treten. Obwohl ich sein Gesicht im Dämmerlicht nicht sehen kann, erkenne ich an seinem lautlosen Schritt, an der spielerischen Eleganz seiner Bewegungen, dass es Wu Weimins Sohn aus erster Ehe ist, der Sohn, der ihn nie vergessen hat und ihn immer noch in Ehren hält. Als der Mann in den Schein des Kerzenlichts tritt, nickt Bella ihrem Halbbruder zu, und er erwidert den Gruß mit einem traurigen Lächeln. Sie sind einander so ähnlich, diese zwei, beide so unnachgiebig wie der Stein, der die Asche ihres Vaters umschließt. Jetzt, da ihre Pflicht erfüllt ist, frage ich mich, was aus ihnen werden wird. Wenn man die Hälfte seines jungen Lebens einem einzigen Ziel gewidmet hat und dieses Ziel endlich erreicht ist, wonach will man dann noch streben?
    Er verbeugt sich respektvoll vor mir. »Sifu, es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Meine Maschine aus Schanghai konnte wegen des schlechten Wetters nicht starten.«
    Ich betrachte sein Gesicht im Kerzenschein und sehe mehr als Erschöpfung in den Sorgenfalten um seine Augen. »Gibt es Probleme in Boston?«
    »Ich glaube, sie weiß Bescheid. Ich merke, wie sie mich beobachtet und ausforscht. Ich spüre ihren Argwohn, jedes Mal, wenn sie mich ansieht.«
    »Was wird jetzt passieren?«
    Er stößt einen langen Seufzer aus und starrt in die Kerzenflammen. »Ich glaube – ich hoffe, dass sie es versteht. Sie hat mir eine enthusiastische Empfehlung geschrieben. Und sie will, dass ich bei einer weiteren Ermittlung in Chinatown mit ihr zusammenarbeite.«
    Ich lächle Johnny Tam an. »Detective Rizzoli ist uns gar nicht so unähnlich. Sie mag nicht mit den Methoden einverstanden sein, mit denen wir unser Ziel erreicht haben, aber ich glaube, sie versteht, warum wir es getan haben. Und ich glaube, dass sie es gutheißt.«
    Ich halte ein Streichholz an die Feuerschale im Hof und entfache den Zunder darin. Flammen schlagen empor wie gierige Reißzähne, und wir füttern sie mit Totengeld. Das Feuer verzehrt die Papierfetzen, und der aufsteigende Rauch trägt Trost und Glück zu den Geistern derer, die wir lieben.
    Und noch etwas müssen wir hier verbrennen.
    Als ich die Maske aus ihrem Beutel ziehe, reflektieren die silberfarbenen Haare den Feuerschein, und plötzlich ist es, als sei sie lebendig geworden, als sei der Geist von Sun Wukong selbst aus dem Schatten hervorgesprungen. Doch die Maske hängt schlaff in meiner Hand, nur ein totes Objekt, gefertigt aus Leder und Affenfell, ein mottenzerfressenes Requisit, das
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