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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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atmete aus. »Unzulässig«, sagte sie. »Jedes verdammte Wort.« Sie rutschte an der Wand hinunter in eine sitzende Position, als hätten ihre Knie plötzlich nachgegeben, und schloss die Augen.
    Ein schwacher, hoher, hartnäckiger Ton drang aus den Lautsprechern. Im Verhörraum war es Rosalind langweilig geworden, und sie summte vor sich hin.

25
    NOCH AM SELBEN ABEND FINGEN WIR AN, das SOKO-Zimmer zu räumen, Sam und Cassie und ich. Wir arbeiteten systematisch und schweigsam, nahmen Fotos ab, wischten die Tafel sauber, sortierten Akten und Berichte und packten alles in Pappkartons. In der Nacht zuvor war in einer Wohnung an der Parnell Street ein Brand gelegt worden, eine Asylbewerberin aus Nigeria und ihr sechs Monate altes Baby waren ums Leben gekommen: Costello und sein Partner brauchten den Raum.
    O'Kelly und Sweeney verhörten Rosalind in einem Zimmer am Ende des Flurs, und Jonathan saß im Hintergrund. Ich hatte damit gerechnet, dass er wutschnaubend und zu allem fähig hereingestürmt käme, aber wie sich herausstellte, war nicht er das Problem. Als O’Kelly den Devlins erzählte, was Rosalind gestanden hatte, sah es fast aus, als wollte Margaret auf ihn losgehen. Sie riss den Mund weit auf, holte dann tief Luft und schrie: »Nein!«, heiser und wild, sodass ihre Stimme durch den Flur gellte. »Nein. Nein. Nein. Sie war bei ihren Cousinen. Wie könnt ihr ihr das antun? Wie könnt ihr ... wie ... Ha, sie hat mich gewarnt – sie hat geahnt, dass Sie das tun würden! Sie« – sie zeigte mit einem dicken, zitternden Finger auf mich, und ich zuckte unwillkürlich zusammen – »Sie, Sie haben sie zigmal am Tag angerufen, um mit ihr auszugehen, dabei ist sie doch noch ein halbes Kind, schämen sollten Sie sich ... Und die da« – Cassie – »die hat Rosalind von Anfang an nicht ausstehen können, Rosalind hat immer gesagt, sie würde ihr die Schuld geben an ... Warum tun Sie das? Wollen Sie sie quälen? Macht Sie das glücklich? Oh mein Gott, mein armes Mädchen ... warum verbreiten bloß alle immerzu Lügen über sie? Warum?« Sie raufte sich mit beiden Händen die Haare und brach in hässliches, hemmungsloses Schluchzen aus.
    Jonathan hatte reglos oben an der Treppe gestanden und sich am Geländer festgehalten, während O’Kelly beruhigend auf Margaret einredete, und uns über ihre Schulter böse Blicke zuwarf. Jonathan trug Anzug und Krawatte. Aus irgendeinem Grund kann ich mich ganz deutlich an diesen Anzug erinnern. Er war dunkelblau und makellos sauber, glänzte leicht an einigen Stellen vom zu häufigen Bügeln, und irgendwie fand ich ihn unsäglich traurig.
    Rosalind war wegen Mordes und wegen tätlichen Angriffs auf eine Polizeibeamtin festgenommen worden. Seit der Ankunft ihrer Eltern hatte sie den Mund nur einmal geöffnet, um mit bebenden Lippen zu behaupten, Cassie habe ihr in den Bauch geschlagen und sie habe sich bloß verteidigt. Wir würden zu beiden Tatbeständen eine Akte an die Staatsanwaltschaft schicken, aber wir wussten alle, dass die Beweislage für eine Mordanklage äußerst dünn war. Wir konnten nicht mal die Sache mit dem Mann im Trainingsanzug anführen, um Rosalind wegen Beihilfe dranzukriegen: Mein Gespräch mit Jessica hatte ja nicht im Beisein einer Volljährigen stattgefunden, ja, ich konnte nicht mal beweisen, dass es überhaupt stattgefunden hatte. Wir hatten Damiens Aussage und den Beweis für zahlreiche Handytelefonate, und mehr nicht.
    Es war schon spät, vielleicht acht Uhr, und es war sehr still im Gebäude, nur unsere Bewegungen und ein sanfter, launischer Regen, der gegen die Fenster klimperte. Ich nahm die Obduktionsfotos und die Familienschnappschüsse von den Devlins herunter, die Aufnahmen von den finster dreinblickenden Typen, die wir als Trainingsanzugsphantom in Verdacht gehabt hatten, und die grobkörnigen Vergrößerungen von Peter und Jamie, knibbelte den Kleber von der Rückseite ab und heftete alles in Akten. Cassie überprüfte die Kartons, stülpte Deckel darauf und beschriftete sie mit einem quietschenden schwarzen Filzstift. Sam ging mit einer Mülltüte durch den Raum, sammelte Styroporbecher ein, lehrte Abfallkörbe und wischte Krümel von den Tischen. Vorn auf seinem Hemd waren getrocknete Blutflecken.
    Seine Karte von Knocknaree rollte sich bereits an den Rändern auf, und als ich sie abnahm, riss eine Ecke ab. Sie hatte irgendwann Wasserspritzer abbekommen, und die Tinte war an einigen Stellen verlaufen, sodass Cassies Karikatur des
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